: Wofür sterben?
AFGHANISTAN Die deutschen Soldaten können gegen die Aufständischen nichts ausrichten. Ihr Mandat geht an der Realität vorbei. Vor Ort wissen das alle
■ geboren 1951, ist taz-Redakteur, deren Bremer Lokalausgabe er mitbegründete. Sein Text basiert auf Eindrücken einer Afghanistan-Reise in Begleitung der grünen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck im April dieses Jahres.
Zwei Panzerhaubitzen 2000 versprach der Verteidigungsminister. Zudem soll die Bundeswehr in Kundus TOW-Panzerabwehrraketen bekommen sowie ein paar zusätzliche Schützenpanzer vom Typ Marder. Könnte das ausreichen, damit die deutschen Soldaten wenigstens die Dörfer im Umkreis von 20 Kilometern um das Feldlager – verniedlichend „Provincial Reconstruction Team“ (PRT) – genannt, zurückgewinnen? Natürlich nicht.
Falsche Zurückhaltung
Aber was ist das Ziel des Bundeswehreinsatzes? Die Zurückhaltung der Deutschen, deren Aufgabe nicht sein soll, die „Aufständischen“ offensiv zu bekämpfen, sondern beim regionalen Aufbau zu helfen, hat diesen viel Freiraum gelassen: Rund um das deutsche Feldlager Kundus sind die Dörfer in der Hand der Taliban. Die Zahl der Kämpfer, die die „Aufständischen“ mobilisieren können, hat sich verzehnfacht im letzten Jahr. Kein Quadratmeter Boden ist vom Regime der „Aufständischen“ befreit worden – wo es Gefechte gab, kämpften die deutschen Soldaten um einen geordneten Rückzug mit den Verwundeten.
Sehen wir uns die Situationen, die zum Tod der deutschen Soldaten führte, einmal näher an. Sie fuhren in ihren gepanzerten Fahrzeugen herum – und wurden zu Opfern von Sprengfallen. „IED“ heißen die im amerikanischen Kriegsjargon, „Improvised Explosive Devices“. Die Sprengsätze werden von Männern vergraben, die durch die Luftaufklärung schwer zu unterscheiden sind von Bauern, die ihre Felder bestellen.
Die Arbeitslosigkeit der jungen Männer ist der Nährboden für die Taliban. Die paschtunischen Familien in der Region Kundus waren auch früher Taliban-treu. Und ganz in der Nähe ist die Heimat von Gulbuddin Hekmatjar, das ist ein alter Warlord mit viel Blut an den Fingern. Es nutzt gar nichts, möglichst viele Taliban zu erschießen, wenn ihnen nicht der Nährboden für die Rekrutierung entzogen würde, sagen zu Recht auch die deutschen Militärs.
Da, wo die Bundeswehr sich nicht hintraut, gibt es kaum Wiederaufbau, kaum wirtschaftliche Hilfe – also keine Bemühung, die Bevölkerung zu gewinnen. So schließt sich der Teufelskreis. Die Kämpfer haben sich in den letzten Jahren in pakistanischen Ausbildungslagern reorganisiert. Der pakistanische Geheimdienst ISI instrumentalisiert die Taliban, der afghanische General Lutfallah ist sogar davon überzeugt, dass der ISI auch hinter der Entführung der Tanklastwagen steckt: Die Verbindungsstraße, über die die USA ihren Nachschub unter Umgehung Pakistans ins Land schaffen wollen, soll unsicher gemacht werden.
Die afghanische Armee
Es ist absurd zu fordern, die Dörfer von Taliban zu „säubern“, wenn ein Bauernsohn, der sein Gewehr abgestellt hat, nach Militärrecht als Zivilist gilt. Mit einem Mandat, das ihnen die Hände bindet, können die deutschen Soldaten nicht die Nordprovinzen wieder freikämpfen.
Wofür sterben die Soldaten in Afghanistan? Diese Frage stellt man nicht nur in Deutschland. Der afghanische General Lutfallah, der Verbindungsmann zwischen deutschen und afghanischen Kräften im nordafghanischen Kundus, hat dies seinen deutschen Partner Oberst Reinhardt Zudrop im April bei dessen Antrittsbesuch gefragt – in den Wochen, in denen sieben Deutsche starben. Der afghanische General ist der Ansicht, dass die deutschen Soldaten am Ende „umsonst“ gestorben sein könnten, wenn die Bundeswehr nicht endlich anfängt zu kämpfen. „Die Soldaten sind nicht hier, um in gepanzerten Fahrzeugen spazieren zu fahren“, sagte er dem deutschen Befehlshaber ins Gesicht. Sie sollten nicht nur in die Luft schießen.
Die afghanische Armee, in der viele der alten Mudschaheddin-Kämpfer das Kommando führen, kann eigentlich nur drauflosstürmen und alles totschießen, was sich in den Weg stellt, sagen die deutschen Offiziere hinter vorgehaltener Hand. Und die Polizei? Das sind oft in sechs Wochen „angelernte“ arbeitslose Männer, Analphabeten, die so schlecht bezahlt werden, dass sie bei jeder Gelegenheit abspringen oder für ein paar Dollar mehr die Seite wechseln.
Kompromiss mit den Taliban
Selbst wenn die afghanische Armee – mit „Partnering“-Unterstützung der Isaf – es schafft, Terrain zurückzugewinnen: welche Polizei soll die oberflächlich von „Aufständischen“ befreiten Gebiete vom Einfluss der Taliban freihalten? So sucht Präsident Hamid Karsai mit der Zustimmung der Nato Gespräche über einen möglichen Kompromiss mit den Taliban. Auch die Nato weiß längst, dass sie den Kampf militärisch nicht gewinnen kann und dass das Karsai-Regime nicht mehr in der Lage ist, „die Köpfe und Herzen“ der Afghanen zu gewinnen.
Die verkündete neue Strategie, die afghanischen Sicherheitskräfte in wenigen Jahren auf den Abzug der Alliierten vorzubereiten, ist nur im Zusammenhang der Idee eines Kompromisses mit den Taliban realistisch. Und wenn Zeitpunkte für den Abzug der internationalen Truppen genannt werden, dann sind das vor allem Signale an die Taliban, dass die Gesprächsangebote ernst gemeint sind. Die derzeitige militärische Offensive im Süden soll das Kräfteverhältnis für diesen Kompromiss mit den Taliban noch etwas verschieben. Manche konziliante Äußerung von Taliban-Führern zeigt, dass sie unter Druck sind.
Niemand kann der afghanischen Stammesgesellschaft innerhalb von von so kurzer Zeit einen Entwicklungssprung von mehreren hundert Jahren aufzwingen. Das politische Ziel der Militäroperation kann nur ein afghanischer Mindestkonsens sein – „Reconciliation“ nennt das der Präsident –, der möglichst alle Bürgerkriegsparteien einschließt und international operierenden Terrorgruppen wie al-Qaida in Afghanistan kein Rückzugsgebiet mehr bietet.
Die operieren längst vornehmlich aus Pakistan. Der im Kampf gegen die Sowjetunion von den USA unterstützte pakistanische Geheimdienst hat die Taliban aufgebaut, ihm werden bis heute gute Kontakte nachgesagt. Das Geld kommt aus Saudi-Arabien. Afghanistan ist im Grunde ein Nebenkriegsschauplatz. KLAUS WOLSCHNER