: „In erster Linie muss es uns gefallen“
MUSIKGESCHÄFT Mit krasser Gitarrenmusik bis zum Pop – seit zehn Jahren trotzt das Berliner Label Sinnbus der Krise der Musikindustrie. Auch eine Sache des Herzbluts, meinen die Macher Uwe Bossenz und Daniel Spindler
■ Die Keimzelle von Sinnbus sah so aus: mehr als dreißig Menschen aus Kaulsdorf, Marzahn und Hellersdorf und ein knappes Dutzend Bands mit seltsamen Namen. 1993 entstand das Label aus dem Umfeld von SDNMT, Monotekktoni, Das zuckende Vakuum oder Delbo. Zehn Jahre später sind immer noch dabei die Mittdreißiger Uwe Bossenz, Daniel Spindler, Peter Gruse und Martin Eichhorn, seit kurzem verstärkt durch Laureen Kornemann. Längst bringen diese fünf nicht mehr nur Musik aus ihrem engsten Umfeld heraus, sondern mit Me and My Drummer, I Might Be Wrong oder Bodi Bill einige der aufregendsten Berliner Acts, dazu Hamburger Electro-Pop von Hundreds oder norwegische Klagegesänge von Einar Stray.
■ Zum Label-Jubiläum erscheint eine Kompilation mit den Lieblingsstücken aus zehn Jahren, „Sinnbus Vol. 10“, und am 7. November werden die zehn Jahre Sinnbus mit einem Konzert im Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, gefeiert. Beginn 21 Uhr, spielen werden u. a. Unmap und Me and My Drummer. (to)
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Herr Bossenz, Herr Spindler, zehn Jahre gibt es das Label Sinnbus nun. Wer hätte das gedacht?
Uwe Bossenz: Wir schon. (Gelächter)
Ernsthaft?
(noch lauteres Gelächter)
Bossenz: Wir haben ja nicht eine Firma aufgemacht, nur um eine Firma aufzumachen. Sinnbus, das war immer in erster Linie ein Freundeskreis.
Daniel Spindler: Wir waren damals ein amorpher Haufen. Ungefähr 30 Leute, die sich kannten und alle in Bands gespielt haben.
Bossenz: Wir kannten uns zum Teil schon aus der Schule, wir haben so viele verschiedene Sachen zusammen gemacht, da war es nur logisch, auch ein Label aufzumachen. Dass von all diesen Aktivitäten am Ende vor allem das Label übrig bleiben würde, das war damals ja nicht abzusehen.
Was für Aktivitäten waren das?
Spindler: Vor allem haben wir Konzerte mit unseren eigenen Bands organisiert, die aber auch nicht gewöhnlich waren. Wir hatten Battles mit zwei, drei Bühnen, bei denen das Publikum mitmachen musste. Als im Postbahnhof am Ende auf allen drei Bühnen gleichzeitig gespielt wurde …
Bossenz: Legendär.
Spindler: Ja, da ist dann die Sicherung durchgebrannt. Außerdem haben wir einen Vertrieb gegründet, einen Verlag, eine Booking-Agentur …
Bossenz: Wir haben sogar ein Radrennen veranstaltet. (hysterisches Gelächter)
Ist es retrospektiv betrachtet nicht seltsam, dass von all diesen Aktivitäten ausgerechnet das Label überlebt habt, obwohl vor zehn Jahren die Krise der Musikindustrie schon deutlich spürbar war?
Bossenz: Ja, es wäre wahrscheinlich schlauer gewesen, beim Konzerteveranstalten zu bleiben.
Spindler: Wir haben uns damals natürlich absolut keinen Kopf gemacht, ob es der Musikindustrie gut geht oder nicht.
Bossenz: Genau. Die Leute, die das Label gemacht haben, waren dann eigentlich wie eine weitere Band. Wir haben genauso Herzblut reingesteckt.
Macht ihr noch Musik neben dem Label?
Bossenz: Ich mache Filmmusik und verdiene so hauptsächlich mein Geld. Aber das Label ist nicht schuld, dass ich nicht mehr in einer Band spiele. Nur: das Label ernsthaft zu betreiben und gleichzeitig ernsthaft Musik zu machen, das ginge nicht.
Spindler: Ich spiele noch in einer Band, aber nicht mit dem gleichen Aufwand wie früher. Wenn ich mir so ansehe, wie viel Bands wie Bodi Bill oder Me & My Drummer investieren wollen und müssen, das ist ein ganz anderes Level als bei uns damals.
Dafür betreibt Ihr jetzt ein Hipster-Label …
Bossenz: Sind wir Hipster? Wir haben auf jeden Fall Bärte, wir haben teilweise Brillen, wir haben Turnschuhe …
Spindler: … und wir haben Jute-Beutel. Wir trinken Club Mate.
Bossenz: Wir haben Apple-Laptops, trinken aber keinen Latte macchiato. Ich befürchte, wir würden nie eine Titelgeschichte im Vice-Magazin kriegen. Wir sind einen Tick zu uncool.
Spindler: Aber ist es nicht gerade cooles Hipstertum, sich selbst einen Tick zu uncool zu sehen? (Gelächter)
Kann so ein Label wie Sinnbus nur in Berlin entstehen?
Bossenz: Einerseits kann es natürlich so ein Do-it-yourself-Label überall geben – und es gibt die ja auch in kleinen Städten. Aber was wir musikalisch machen, das ist vielleicht nicht Berlin, aber schon großstädtisch. Wir haben angefangen mit krasser, experimenteller Gitarrenmusik und dann kühle, verfrickelte elektronische Musik herausgebracht. Anfangs haben wir Pop verachtet, jetzt bringen wir Pop raus. Ein solches Spektrum an Einflüssen, dem ist man halt eher in einer Großstadt ausgesetzt.
Spindler: In kleinen Städten sind die Szenen kleiner und homogener, da ist so ein Gemischtwarenhandel wie unserer nicht vorstellbar.
Was verbindet diesen Gemischtwarenhandel? Was macht eine Sinnbus-Band aus?
Spindler: Es gibt auf jeden Fall kein Genre, auf das wir festgelegt sind. In erster Linie muss es uns gefallen.
Bossenz: Aber wir kriegen leider selten Demos, die uns gefallen.
Spindler: Ich glaube, die Musik, auf die wir uns einigen können, muss irgendein Extra haben, irgendeinen Knoten, eine überraschende Wendung.
Bossenz: So unterschiedlich die Sinnbus-Bands mitunter sind, ob es verwirrende Musik oder eingängige ist, alle haben einen gemeinsamen Nenner: Es ist immer Musik, die beim dritten Hören besser ist als beim ersten.
Habt ihr jemals bereut, eine Band abgelehnt zu haben?
Bossenz: Es gab auf jeden Fall Sachen, die bei uns auf dem Schreibtisch lagen, die später groß rauskamen. Aber das hätte auch alles nicht zu uns gepasst.
Spindler: Aber gibt nichts zu bereuen. Polarkreis 18 wären mal beinahe bei uns gelandet, mit denen gab es schon einen Handschlag. Aber später war uns klar: Wo die hinwollten, das war etwas ganz anderes, als wir wollten.
Mal angenommen, ein Major-Label würde euch kaufen wollen. Wie viel müsste es bieten?
Bossenz: Also mindestens 100 Mark.
Spindler: Aber Westmark. (Gelächter)
Bossenz: Wie das denn? Arbeiten wir dann noch da? Oder setzen wir uns zur Ruhe? Nein, das ist völlig absurd. Niemand will unser Label kaufen. Mit uns kann man doch kein Geld verdienen.
Spindler: Ich hab ja ehrlich gesagt schon darüber nachgedacht, ob man den Laden nicht dichtmachen sollte. Zehn Jahre, fünfzig Platten, das ist doch ein schöner Abschluss.
Bossenz: Echt, das hast du gedacht?
Spindler: Ja, aber nicht, weil ich Sinnbus ätzend finde. Sondern weil ich es reizvoll finde, ein komplett neues Label zu machen, ganz neu anzufangen. Aber das ist Quatsch.