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Archiv-Artikel

Unter der Knute von Richie Incognito

AMERICAN PIE Mobbing bei den Miami Dolphins: Der schwarze NFL-Profi Jonathan Martin wirft hin

VON THOMAS WINKLER

Irgendwann hatte Jonathan Martin genug. Genug von den kleinen Sticheleien und den großen Demütigungen, von den immer wiederkehrenden Beschimpfungen und vom alltäglichen Rassismus. Als Jonathan Martin genug hatte, stand er auf vom Tisch in der Kantine, schmiss sein Tablett mit dem Teller Spaghetti auf den Boden und ging. Seitdem hat man ihn an seinem Arbeitsplatz nicht mehr gesehen, Martin hat sich in psychologische Behandlung begeben.

Nun ist Jonathan Martin kein normaler Angestellter, sondern Football-Profi, und sein Arbeitgeber kein gewöhnlicher Betrieb, sondern das NFL-Team der Miami Dolphins. Deshalb macht der Mobbing-Fall Martin gerade Schlagzeilen in den USA. Er hat eine Grundsatzdiskussion ausgelöst. Diskutiert wird, wo genau die Linie verläuft zwischen Witzelei und Humor. Aber auch, ob Fälle wie der von Martin in einem körperbetonten Macho-Sport wie Football nicht unvermeidbarer Alltag sind.

Tatsächlich scheint der Auslöser von Martins Zusammenbruch auf den ersten Blick bloß eine Petitesse zu sein. Offensichtlich waren Mannschaftskollegen aufgestanden, als sich Martin zu ihnen an den Tisch setzen wollte. Seit der 24-Jährige vor gut einer Woche verschwunden ist, werden allerdings immer mehr Details der Vorgeschichte bekannt. Als Hauptverantwortlicher für das Mobbing wurde schließlich Martins Kollege Richie Incognito identifiziert und am vergangenen Montag suspendiert. Die Dolphins erklärten, dass sie mit der NFL bei der Aufklärung des Sachverhalts zusammenarbeiten wollen.

Martin wurde regelmäßig von anderen Spielern dazu verdonnert, die gemeinsamen Abendessen in schicken Restaurants zu bezahlen, was schon mal 30.000 Dollar teuer werden konnte. Eine in der NFL übliche Praxis, die zu den Ritualen gehört, mit der Liga-Neulinge in die Mannschaft aufgenommen werden. Allerdings wird diese sogenannte „Rookie-Steuer“ gewöhnlich nur einmal fällig, Martin dagegen wurde wohl, seit er vor zwei Jahren zu den Dolphins kam, immer wieder genötigt, die Rechnung zu übernehmen. Kurz vor seinem Verschwinden sollte er sich zudem mit 15.000 Dollar beteiligen an einem Trip nach Las Vegas, den er gar nicht mitgemacht hatte. „Die gestandenen Spieler der Dolphins“, schrieb der Reporter der Tageszeitung Miami Herald, „benutzen die jüngeren wie Bankautomaten.“

Außerdem soll Incognito, der weiß ist, Martin, dessen Vater Afroamerikaner ist, seit der letzten Saison immer wieder rassistisch beleidigt und sogar bedroht haben. In einer SMS nannte er Martin „einen Halbneger und Stück Scheiße“. In weiteren, mit Fäkalausdrücken gespickten Kurznachrichten und Sprachmitteilungen drohte Incognito nicht nur seinem Mannschaftskollegen Gewalt an, sondern auch dessen Familie.

Incognito ist kein unbeschriebenes Blatt. Der 30-Jährige hat schon Schiedsrichter beschimpft und gilt als einer der unfairsten Spieler in der Liga. Niemand sonst hat in den vergangenen Jahren so viele Strafen wegen „unnötiger Härte“ kassiert. „Incognito ist ein Arschloch“, sagt ein NFL-Funktionär, der anonym bleiben will, „aber eben auch derjenige, den man bei einer Kneipenschlägerei neben sich haben will.“

Dank dieser Mentalität hat Incognito Karriere in der NFL gemacht. Doch diese Mentalität ist ihm nun zum Verhängnis geworden. Er wird wohl nie wieder Profi-Football spielen, weil sich kein Team erlauben kann, einen entlarvten Rassisten einzustellen in einer von schwarzen Spielern dominierten Liga.

Allerdings dürfte die Laufbahn von Jonathan Martin ebenfalls zu Ende sein. Denn die Zustände in den NFL-Mannschaften werden sich kaum grundsätzlich ändern, Martin aber, der aus einer Akademikerfamilie stammt, Frühgeschichte studierte und als Berufswunsch Anwalt angibt, gilt nicht erst seit seinem Verschwinden – trotz 1,96 Meter Größe und 142 Kilo Gewicht – als Sensibelchen, das ungeeignet ist für den rauen Profi-Football. Wie so oft in Mobbing-Fällen, gibt es auch hier nur Verlierer.