: Folgenschwerer Aussetzer
CHAMPIONS LEAGUE Schalkes Torwart leitet mit einem peinlichen Malheur die zweite 0:3-Pleite seines Teams gegen den FC Chelsea ein
TIMO HILDEBRAND
AUS LONDON ANDREAS MORBACH
Um ihn herum setzte zwar gerade ein gemeiner Nieselregen ein, doch Timo Hildebrand spielte die personifizierte Geduld. So wie der Freiburger Berufskollege Oliver Baumann nach dem Dreifach-Patzer gegen Hamburg hatte sich der Schalker Schlussmann dazu entschieden, sich nach seinem persönlichen Waterloo nicht zu verkriechen. Sondern ruhig, tapfer und einsichtig an die Öffentlichkeit zu treten. So lange, bis keiner mehr etwas von ihm und über seinen Blackout an der Stamford Bridge wissen wollte.
Und so stand der frühere Nationaltorhüter da in der gewöhnungsbedürftigen Interviewzone des FC Chelsea – unter freiem Himmel, direkt am Spielfeldrand – und erzählte. Von jener dunklen 31. Minute, als sich Samuel Eto’o an ihn herangeschlichen hatte. Mit dem bösen Ende, dass der zögerliche Keeper seinen Abschlag an das Bein des kamerunischen Angreifers schoss, von wo der Ball zum 0:1 ins Tor hoppelte.
Die Niederlage des FC Schalke war eingeläutet, beim Abpfiff stand es 0:3. So wie schon beim ersten Duell in Gelsenkirchen, zwei Wochen zuvor. „Am Ende ist es ein klares Ergebnis, zweimal ein klares Ergebnis. Das ist ernüchternd“, seufzte Horst Heldt laut auf und bekannte: „Ich habe den Pressschlag gesehen, habe dann gesehen, wohin der Ball rollt. Da bin ich aufgestanden und habe mich umgedreht.“
Schalkes Manager neigt offenkundig nicht zum Masochismus, deshalb ersparte er es sich, dem Ball auf seinen letzten Metern ins Tor zuzuschauen. „Timo hat einen blöden Fehler gemacht. Das war unnötig wie ein Kropf, und das weiß er auch. Aber das wird ihn nicht umwerfen“, erklärte Heldt – und interpretierte das Hildebrand’sche Après-Spiel: „Er stellt sich der Situation. Das ist gut.“
José Mourinho fand derweil vor allem das peinliche Malheur des orange gekleideten Torwarts gut – auch wenn Chelseas Coach nach dem Abpfiff zunächst den Trostspender gab. „Er ist“, erzählte Hildebrand, „vorbeigekommen, wir haben uns die Hand gegeben, und er hat gesagt: Vergiss es! So etwas passiert einfach.‘ “ Doch dann waren die aufmunternden Worte gesprochen – und Mourinho ordnete die spielentscheidende Szene lächelnd ein: „Nach dem ersten Tor konnten wir so spielen, wie wir wollten – und so, wie es die Schalker nicht gern haben.“
Deren Übungsleiter Jens Keller nannte Hildebrands großzügiges Gastgeschenk einen „Riesenfehler“, Mittelfeldkraft Jermaine Jones fand: „Da haben wir uns ein Ei ins Nest gelegt.“ Und der übertölpelte Torhüter meinte reuevoll: „Es tut mir leid. Die Jungs haben versucht, mich aufzumuntern, aber das brauchen sie natürlich nicht. Ich habe schon andere Situationen in meiner Karriere bewältigt und denke, dass ich auch durch so was wieder gestärkt hervortrete.“
Die Tatsachen seines fortgeschrittenen Fußballeralters (34) und seines auslaufenden Vertrags sind Timo Hildebrand jedoch prinzipiell geläufig. Ebenso wie der Umstand, dass Heldt für die Winterpause ein Zukunftsgespräch mit ihm angekündigt und offen erklärt hat, dass der Verein bereits den Markt sondiere. So kursiert zum Beispiel der Name von Hannovers Torhüter Ron-Robert Zieler – und der wackere Hildebrand ahnte: „Jetzt krieg ich wieder auf die Fresse, und manch einer wird wieder eine Torwartdiskussion ausrufen.“
Da hilft ihm auch sein ansonsten guter Auftritt beim Tabellenzweiten der Premier League nicht weiter. „So ein Ding stellt natürlich alles in den Schatten“, wusste der gebürtige Wormser, der von dem wenig zimperlichen englischen Publikum nach seinem Aussetzer mit Häme überschüttet wurde, sobald der Ball auch nur in seine Nähe kam. „Ich hoffe“, meinte Hildebrand, nach diesen Erlebnissen doch etwas nachdenklich, „dass ich stark genug bin, damit umzugehen.“
Stark genug, um es zum vierten Mal nach 2007, 2010 und 2012 ins Achtelfinale der Champions League zu schaffen, dürfte zumindest der FC Schalke sein. Das allerdings liegt weniger an der Qualität der Gelsenkirchener als an der wenig angsteinflößenden Konkurrenz aus Basel und Bukarest. Mit einem Sieg beim rumänischen Meister und einer zeitgleichen Niederlage der Baseler gegen Chelsea können sich die Königsblauen in drei Wochen vorzeitig für die K.-o.-Runde qualifizieren. Und klappt es da nicht, bleibt ihnen immer noch der Matchball des Heimspiels gegen die Schweizer am 6. Dezember. „Wir haben jetzt zwei machbare Spiele“, schätzte S04-Coach Keller die Lage lakonisch, aber treffend ein.