: Stallpflicht für Kinder
Jugendliche in NRW verstehen nichts mehr von der Natur, das besagt eine neue Studie. Grüne und SPD machen Schwarz-Gelb verantwortlich – denn die spart zurzeit an der Umweltbildung
VON NATALIE WIESMANN
Viele Jugendliche in Nordrhein-Westfalen haben keine Ahnung, woher die Sahne kommt. Über die Hälfte der 12 bis 15-Jährigen weiß nicht, dass die Rosine die getrocknete Form der Traube ist. Das ist das Ergebnis des Jugendreports Natur ‘06, den der Marburger Natursoziologe Rainer Brämer gestern in Düsseldorf vorgestellt hat. Für die repräsentative Studie waren 2.200 SchülerInnen aller Schulformen der Klassen 6 und 9 in NRW befragt worden.
Es fehle den Jugendlichen an Wissen über Zusammenhänge in der Natur, erklärte Brämer. Sie wüssten nicht mehr, dass Bio-Äpfel oder Tiefkühlspinat Naturprodukte sind. „Den Jugendlichen ist eine ‚übertriebene Waldmoral‘ eingepflanzt worden“, sagte der Soziologe. In den Köpfen überwiege eine „bambihafte Verniedlichung der Natur“, die sich in Leitsätzen wie „Tiere nicht stören“ und „Im Wald auf Wegen bleiben“ erschöpfe.
Oft hielten SchülerInnen die Natur für „immer gut“ und jegliche Nutzung für schlecht, so Brämer weiter. Natur diene ihnen hauptsächlich als „Kulisse für Feste und Sport“. „Ich bin absolut sicher, dass die Pädagogik versagt hat“, sagte der Natursoziologe. Mit dem Begriff der Nachhaltigkeit könnten die Jugendlichen ohnehin nichts anfangen: Nur elf Prozent hätten „halbwegs zutreffende Vorstellungen“ von seiner Bedeutung.
Marie-Luise Fasse, Landesvorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und CDU-Landtagsabgeordnete, sagte: „Das Naturbild der Jugend ist schief.“ Sie regte mehr Besuche in Waldschulheimen an. Auch der Präsident des Deutschen Jagdschutz-Verbandes und ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister, Jochen Borchert (CDU), forderte, der Naturverniedlichung bei Kindern entgegenzutreten.
Die Grünen wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass Nachhaltigkeit den Kindern kein Begriff ist. „Es ist einfach so, dass das Wort keine Emotionen auslöst“, sagte Johannes Remmel, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Faktion der taz. Er schiebt der neuen Landesregierung den schwarzen Peter zu: „Es ist ja schön, dass die CDU den Kindern die Natur beibringen will“, sagt er. „Aber CDU und FDP setzen ausgerechnet bei Projekten der Umweltbildung den Rotstift an.“
Auch die umweltpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Svenja Schulze, wirft der NRW-Regierung Scheinheiligkeit vor: „Wenn Frau Fasse und die CDU gleichzeitig im Landeshaushalt 2006 die Zuschüsse für 44 biologische Stationen um über 20 Prozent kürzen wollen, ist das widersprüchlich.“
Josef Tumbrinck, Vorsitzender des Naturschutzbundes Nordrhein-Westfalen hat festgestellt, dass das Interesse an Kindergeburtstagen auf Bauernhöfen steigt. „Wenn die Kinder erstmal in Kontakt mit den Tieren stehen, sind sie genauso begeistert wie wir früher“, sagt er. Die Stadtkinder, vor allem die unteren Schichten, entfernten sich jedoch immer mehr von der Natur. „Das hat auch mit den Lehrern zu tun“, sagt er. Biologieunterricht finde immer im Klassenzimmer und nicht mehr im Wald statt.
Tatsächlich: Jeder dritte hatte noch nie einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand, stellte Brämer in seiner Studie fest. Bereits 2003 und 1997 hatte der Natursoziologe größere Studien zur Naturerfahrung von Jugendlichen erstellt. Sie hatten unter anderem offen gelegt, dass viele Kinder Enten für gelb halten.