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Archiv-Artikel

Jogurtbecher tanken

Mit der Polymer-Verdieselungsanlage CDP ist ein Verfahren auf dem Markt, mit dem sich aus kohlenwasserstoffhaltigen Abfällen Diesel oder Heizöl herstellen lässt. Pilotanlagen laufen an

VON KLAUS SIEG

„Wir wollen nicht mit den großen Ölförderern in Saudi-Arabien oder anderswo auf der Welt konkurrieren, sondern ein Entsorgungsproblem lösen“, sagt Rainer Köhnlechner von der Firma Hamos im bayrischen Penzberg. Der Spezialist für Recycling und Separationstechnik vertreibt die Anlagen, die von Christian Koch von der Firma Alphakat aus Deutschland entwickelt wurden. „Uns erreichen sehr viele Anfragen von Entsorgern“, freut sich Köhnlechner.

Das rege Interesse der Branche ist kein Zufall. Seit die Technische Anleitung Siedlungsabfall (TASi) seit Anfang Juni 2005 in Kraft ist, darf Restmüll nicht mehr unbehandelt auf Deponien entsorgt werden. Er muss in Verbrennungsanlagen oder mechanisch-biologischen Anlagen beseitigt werden. Eine große Herausforderung für die Entsorger. Die Verbrennung einer Tonne Abfall kostet inzwischen bis zu 200 Euro. Die Ländergemeinschaft Abfall (Laga) schätzt die Menge der zu entsorgenden Reststoffe in diesem Jahr auf 24,5 Millionen Tonnen. Darunter können vier bis fünf Millionen Tonnen Kunststoffe, über vier Millionen Tonnen mineralische Öle und einige hunderttausend Tonnen Pflanzenöl sein.

Kunststoffabfälle werden in der Polymer-Verdieselungsanlage CDP zunächst von Metall, Glas oder anderen Störstoffen befreit und getrocknet. Der Kunststoff wird dann in einem Reaktor erhitzt und ein Katalysator hinzugegeben, der in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelt wurde. Wegen der hohen Oberfläche des Materials kommt es zu einer schnellen Reaktion, und die Kohlenwasserstoffketten werden aufgespalten. Die Reaktionstemperatur liegt mit 300 bis 350 Grad über dem Siedepunkt von Diesel. Dieser verdampft und wird destilliert. Aufgrund der relativ niedrigen Temperaturen entstehen keine Giftstoffe wie Dioxin oder Furane. Im Kunststoff enthaltene Gifte und andere Stoffe, die nicht als Diesel verdampfen, verbleiben mit dem verbrauchten Katalysator im Reaktor. Auch Kunststoffe aus PVC können zu Diesel verarbeitet werden, sie reagieren mit dem Katalysator zu Salzen. Neben Kunststoffen lassen sich auch Autoreifen, Altöle, Fette, Wachse und viele andere kohlenwasserstoffhaltige Produkte in Diesel verwandeln – mit Cetanzahlen zwischen 58 und 60 sogar zu einem hochwertigen.

„Viele unserer Kunden suchen Lösungen für gemischte Abfallstoffe“, erklärt Köhnlechner. „Wenn mit PET- und PE-Flaschen oder PE-Folien erst einmal die Sahne aus dem Abfall geschöpft ist, verbleiben Stoffe, die sich nur noch schwer recyceln lassen.“ Etwa der verschmutzte Jogurtbecher oder die Wurstverpackung aus sieben verschiedenen Kunststoffen. Auch für Kohlenwasserstoffe aus Elektronikschrott und andere Stoffe aus der so genannten Schredderleichtfraktion bietet die Anlage eine Lösung. Allerdings werden diese Stoffe zum Teil bereits werkstofflich und energetisch verwertet, etwa für die Verbrennung in Zement- oder Stahlwerken. „Dass die Herstellung von Diesel aus Abfällen funktioniert, ist nicht die Frage“, sagt Kurt Stepping vom Verband der Kunststofferzeugenden Industrie: „Es muss aber mit anderen Verwertungen wirtschaftlich konkurrieren können.“

Die kleinste Polymer-Verdieselungsanlage CDP produziert 500 Liter Diesel pro Stunde. Dafür muss sie mit 500 bis 1.500 Kilogramm Abfällen gefüttert werden, je nach Energiepotenzial der Stoffe. Das sind rund zwei Lkw-Ladungen täglich. Die Anlage muss an 365 Tagen im Jahr durchlaufen.

Als Kosten für einen Liter Diesel gibt Rainer Köhnlechner zwischen 15 und 23 Eurocent an. Strom und Wärme für den laufenden Betrieb erzeugt ein integrierter Dieselgenerator, der mit einem Zehntel des gewonnenen Kraftstoffs läuft. Die Anlage kann dezentral, direkt von den Entsorgern betrieben werden. Lange Transportwege der leichten, aber sehr voluminösen Kunststoffabfälle entfallen. Vor allem aber hilft die Verdieselung, CO2- und Methan-Emissionen zu vermeiden. Ein großes Plus im Vergleich zur energetischen Verbrennung von Abfällen.

Auch die Clyvia Technology in Wegberg hat eine Konvertierungsanlage für Abfallstoffe aus Kohlenwasserstoffen entwickelt, die aus unterschiedlichen organischen Stoffen Heizöl produziert. Bald soll auch die Herstellung von Diesel mit den nötigen Cetanzahlen möglich sein. Die so genannte fraktionierte Depolimerisation arbeitet ebenfalls mit niedrigen Temperaturen und reduziert Umweltbelastungen weitestgehend. Demnächst soll ein Prototyp in Betrieb gehen. Clyvia bietet auch ein Betreiberkonzept an. „Das Verfahren gibt es seit 25 Jahren“, räumt Geschäftsführer Manfred Sappok ein. Doch erst jetzt hat die amerikanische Mutter die Pilotanlage finanziert. Auch gute Ideen brauchen die richtige Zeit. Für den Gedanken, aus kohlenwasserstoffhaltigen Abfällen Heizöl und Diesel herzustellen, scheint sie vielleicht gekommen zu sein.