: Katastrophale Bilanz des Afghanistankrieges
FRIEDENSFORSCHER Klare Analyse des Konflikts, doch keine Einigkeit bei den Handlungsempfehlungen
BERLIN taz | Fünf deutsche Friedensforschungsinstitute haben in ihrem am Dienstag vorgelegten Jahresgutachten eine katastrophale Bilanz des Afghanistankrieges gezogen. „Die bisherige Afghanistanpolitik ist gescheitert“, heißt es in dem in Berlin vorgelegten Bericht. Trotz massiver Verstärkung der Nato-Truppen habe sich die Sicherheitslage verschlechtert und die afghanische Regierung an Legitimität eingebüßt.
In Afghanistan könne nach fast neunjähriger Intervention nicht einmal von einer defekten Demokratie die Rede sein, schreiben die Friedensforscher. Der westlichen Afghanistanpolitik fehlten kompetente, organisierte und legitimierte afghanische Partner und ein funktionierender und akzeptierter Staatsaufbau. Es wird anerkannt, dass die neue Strategie von US-Präsident Barack Obama versuche, Konsequenzen aus dem gescheiterten Staatsaufbau zu ziehen, und davon abgehe, die Aufständischen militärisch zu besiegen. Stattdessen sollten sie von der Bevölkerung abgeschnitten werden. Doch agierten die USA widersprüchlich: „Die afghanische Regierung soll legitim, rechtsstaatlich und demokratisch sein, zugleich akzeptiert man die Wahlfälschungen Karsais.“
Die Institute fordern den Westen zu Konsequenzen aus seinem Scheitern auf, doch können sie sich dabei nicht auf eine Option einigen. Sie halten sich deshalb, wie sie selbst einräumen, „mit klaren Empfehlungen auffallend zurück“. Es gebe keine optimalen Optionen mehr, jede habe ihren Preis. „Sicher scheint uns, dass weder die weitere Präsenz internationaler Truppen noch deren sofortiger Abzug allein Frieden schaffen können.“
Die Stärke des Berichts besteht darin, dass er nüchtern die Chancen und Risiken von vier Hauptoptionen (Obamas neue Strategie, Ende der Kampfoperationen, Verhandlungen mit den Taliban, Konzentration auf legitime Staatlichkeit) benennt und Erfolgskriterien definiert. Selbst bei einem wie auch immer gearteten Erfolg wird nach Meinung der Forscher der Frieden einen Preis haben: Der Westen wird „in Sachen Demokratie- und Menschenrechtsstandards Abstriche machen müssen“.
Das jährliche Gutachten wird seit 1987 von den fünf Instituten BICC, Fest, Inef, IFSH und HSKF vorgestellt. SVEN HANSEN