Loop der Kulturnation

Beim Deutschen Filmpreis 2006 gab es gleich sieben Lolas für Florian Henckel von Donnersmarck, der in „Das Leben der anderen“ einfach gestrickte Stasi-Agenten und andere DDR-Klischees zeigt

von CRISTINA NORD

Wer am Freitagabend die Verleihung des Deutschen Filmpreises in Berlin besuchte, hatte rasch das Gefühl, in eine Zeitschleife geraten zu sein. Zum zweiten Mal wurde die Auszeichnung unter Federführung der Deutschen Filmakademie vergeben. Diesmal war es zwar nicht mehr Christina Weiss, sondern der CDU-Politiker Bernd Neumann, der als Staatsminister für Kultur die stattliche Summe von knapp 3 Millionen Euro bereitstellte.

Dennoch klangen Neumanns Rede und die Ansprachen Senta Bergers und Günter Rohrbachs genau wie die Reden und Ansprachen des letzten Jahres. Denn die Erzählung ist immer die gleiche: Lange lag der deutsche Film darnieder, jetzt geht es ihm besser denn je, und man ist stolz auf den Erfolg, ja, die „thematische und künstlerische Bandbreite“ der Filmproduktion trage gar dazu bei, dass es um die „Kulturnation Deutschland“, wie Neumann sagte, gut bestellt sei.

„Nach vielen Jahren des Selbstmitleids“, wusste Neumann, „ist die Stimmung nun umgeschlagen.“ Das klang nicht anders als vor zwei Jahren, als sich Christina Weiss bei einem Empfang in Cannes darüber freute, dass die deutsch-österreichische Koproduktion „Die fetten Jahre sind vorbei“ im Wettbewerb der Filmfestspiele lief. Es klang nicht anders als vor drei Jahren, als „Good Bye, Lenin!“ international sehr erfolgreich war. Und es klang nicht anders als im Februar 2004, als Fatih Akin für „Gegen die Wand“ den Goldenen Bären der Berlinale entgegennehmen durfte: Hauptsache, wir sind wieder wer.

Wer vor diesem Hintergrund Kritik zu äußern wagt, wird schnell als Spielverderber wahrgenommen. Im Spiegel erschien kürzlich ein Artikel über das leidige Thema der Stars in Deutschland; er konstatierte deren Nichtexistenz. Dies gab dem Staatsminister Anlass zur Medienschelte. Trotzig stellte er die Gegenthese auf: „Wir haben viele großartige Stars in Deutschland.“ Im Vorjahr klagte Günter Rohrbach, an Senta Bergers Seite Präsident der Akademie, über die Journalisten, „die an ihren Vorurteilen festhalten“. Wie groß ist das mit so viel Nachdruck behauptete Selbstbewusstsein, wenn man so kleinkrämerisch auf jeden Einwand reagiert?

Was sich von Jahr zu Jahr ändert, sind die Titel der Filme, doch Kontinuität herrscht auch hier: Für die wichtigsten Preise kommt in Frage, was den Spielregeln des gehobenen Unterhaltungskinos gehorcht. Vor einem Jahr konnte Dani Levys Komödie „Alles auf Zucker“ sechs Preise auf sich vereinen, in diesem Jahr heißt der überwältigende Gewinner „Das Leben der Anderen“. Sieben Lolas hat Florian Henckel von Donnersmarcks Film erhalten, darunter die Goldene Lola für den besten Film, dotiert mit 500.000 Euro. Ulrich Mühe, der in „Das Leben der Anderen“ den geläuterten Stasi-Agenten spielt, erhielt den Preis für den besten Hauptdarsteller; Ulrich Tukur, der den skrupellosen Stasi-Karrieristen gibt, die Auszeichnung für den besten Nebendarsteller. Tukur war der Einzige, der im Einerlei der Preisvergaben durch erfrischenden Nonsens auffiel, indem er seine Danksagung auf Italienisch ins Mikrofon schmetterte. „Basta e buona sera, grazie!“

Florian Henckel von Donnersmarck drehte mit „Das Leben der Anderen“ sein Langfilmdebüt; an ihn gingen sowohl der Preis für die beste Regie als auch der für das beste Drehbuch. Dabei geriet aus dem Blick, dass „Das Leben der Anderen“ durchaus problematisch ist, etwa weil der Film als maßgebliche Triebkraft für die Tätigkeit der Stasi-Agenten deren sexuellen Notstand setzt und damit das Kalkül der Staatssicherheit in die Handlungsmuster der Schmierenkomödie überführt. Oder weil das DDR-Künstlermilieu bei Henckel von Donnersmarck genau der kleinbürgerlichen Vorstellung von Künstlermilieu folgt, die uns jedes Fernsehspiel aufdrängt. Von der einzig relevanten Frauenrolle ganz zu schweigen – die ist zwar mit Martina Gedeck wunderbar besetzt, aber umso tumber konzipiert.

Der zweite Favorit des Abends, Hans-Christian Schmids Drama „Requiem“, erhielt fünf Auszeichnungen, darunter den Filmpreis in Silber und eine Goldene Lola für die beste Hauptdarstellerin, Sandra Hüller. Hüller zog es allerdings vor, sich per Videoaufzeichnung aus einer Theatergarderobe heraus zu bedanken. Eine kluge Entscheidung, erinnerte die von Michael Herbig moderierte Veranstaltung mit ihren rot-gold-schwarzen Farbarrangements und den Hostessen, die zu Herbigs Gesangseinlagen die Beine in die Luft warfen, doch sehr an das, was Georg Seeßlen einmal „die große Samstagabendunterhaltung“ nannte – noch ein Grund mehr, sich in einer Zeitschleife zu glauben.

Wenn „Requiem“ hinter „Das Leben der Anderen“ zurückblieb, so sagt dies nichts über die Qualität von Hans-Christian Schmids Film und viel über die Urteilskraft der Akademiemitglieder. Ganz zu schweigen von all den Filmen, die am Freitagabend im Palais am Funkturm erst gar nicht auftauchten: Christian Petzolds „Gespenster“, Benjamin Heisenbergs „Schläfer“, Ulrich Köhlers „Montag kommen die Fenster“, Christoph Hochhäuslers „Falscher Bekenner“, Valeska Griesebachs „Sehnsucht“ und andere mehr. Vielleicht haben einige davon im kommenden Jahr eine Chance. Doch überwiegt ein trauriger Eindruck: Von dem, was wirklich interessant am deutschen Kino ist, hat die Filmakademie keine Vorstellung.