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Archiv-Artikel

Freidemokratischer Freitod

FDP Hamburgs Liberale entdecken nach der Niederlage bei der Bundestagswahl ihr soziales Gewissen und wollen künftig mehr Inhalte als Sat.1 bieten

„Wir müssen erste Hilfe leisten, damit Schwache wieder stark werden“

BURKHARD MÜLLER-SÖNKSEN, FDP

Die Hamburger FDP will nach dem Debakel bei der Bundestagswahl durch eine Ausweitung ihrer Themen einen Neuanfang schaffen.

Rund sieben Wochen nach der wohl schwärzesten Stunde der Partei rief die Landesvorsitzende Sylvia Canel am Samstag den Delegierten auf einem Parteitag im Bürgerhaus Wandsbek zu: „Ein Weiter so kann und darf es nicht geben.“ Die Verengung auf die Marktwirtschaft etwa bei Bildung, Soziales, Kultur und Wissenschaft könne nicht sinnvoll sein, „wenn man mehr Inhalte will, als man sie bei Pro7 und Sat.1 heutzutage sehen kann“. Teilweise empört zeigten sich die Liberalen über die bisherige Bundesspitze, gaben sich aber auch zerknirscht, da Parteitage deren Treiben abgesegnet hatten.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen forderte die Partei auf, sich den Lebenswirklichkeiten zu stellen und sich auch den Schwachen und Hilfsbedürftigen zuzuwenden. „Wir müssen bereit sein zu lernen, die erste Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, damit Schwache wieder stark werden.“ Er selbst übernehme als Spitzenkandidat „die Verantwortung für die verlorene Wahl“, versicherte Müller-Sönksen.

Bei der Bundestagswahl am 22. September scheiterte die FDP erstmals seit 1949 auf Bundesebene an der Fünf-Prozent-Hürde. Bundesweit und auch in Hamburg kam sie auf nur 4,8 Prozent. Bei der Wahl 2009 erreichten die Liberalen bundesweit noch 14,6 Prozent, in Hamburg waren es immerhin noch 13,22 Prozent. Wegen des miserablen Abschneidens wechselt die FDP im Bund ihre Führungsspitze aus. Auf einem Sonderparteitag am 7. und 8. Dezember in Berlin soll der ehemalige Generalsekretär Christian Lindner auf den bisherigen FDP-Chef Philipp Rösler folgen. Als stellvertretende Parteivorsitzende hat sich auch Hamburgs Fraktionschefin Katja Suding ins Gespräch gebracht.

In der mehrstündigen Aussprache gingen die Liberalen auch mit der Bundesspitze und der Arbeit der Bundesminister hart ins Gericht. Es war die Rede von Fehlplanungen, der schlechtesten Wahlkampagne seit 1976, einem Unterschätzen der Alternative für Deutschland (AfD) und einem Versagen in der schwarz-gelben Koalition. Erst habe die Partei zu viel versprochen und dann nicht geliefert, räumte Müller-Sönksen ein.

Und der ehemalige Landes-Vize Gerhold Hinrichs-Henkensiefken suchte die Schuld nicht bei anderen: „Es ist falsch zu sagen, die Kanzlerin hat die FDP umgebracht, nein, das waren wir schon selber.“  (dpa/taz)