: Gutmensch des Fußballs
Im Finale der Champions League will Thierry Henry den FC Arsenal London zum Sieg führen, danach könnte der 28-jährige Angreifer zum Gegner überlaufen, dem FC Barcelona
AUS PARIS RONALD RENG
Dies war nicht unbedingt der beste Moment, Thierry Henry als neuen Spieler des FC Barcelona zu präsentieren. Die zweite Halbzeit des Champions-League-Halbfinales zwischen dem FC Villarreal und Henrys aktuellem Team Arsenal London sollte gerade angepfiffen werden. Henry stand im Mittelkreis, um den Anstoß auszuführen, als ihm, wie es bei Präsentationen von Neuzugängen üblich geworden ist, ein Trikot des FC Barcelona überreicht wurde, HENRY, Nummer 14 in Gold auf dem Rücken. Es war aber dann doch nur ein Flitzer, der sich mit dieser Trikotübergabe selbst verwirklichte.
Die Frage, ob sich der Franzose Henry, einer der fünf besten Angreifer der Welt, in der kommenden Saison Barça anschließt, regt die Branche nun schon seit Monaten auf. Und weil der Fußball schon immer eine Schwäche für Herzschmerz hatte, bringt er am heutigen Mittwoch im Champions-League-Finale in Paris ausgerechnet Barça und Arsenal als Gegner zusammen. Die Varianten des möglichen Dramas sind unzählig: Raubt Henry mit einem Siegtor den zukünftigen Mitspielern den Lebenstraum; läuft er nach einem Fehlschuss zu den Siegern über?
Henry kommt. Das klingt in allen Privatgesprächen durch – wen man auch spricht bei Barça. Henry sagt indes, was Profis sagen: „Ich denke nur an das Finale.“ Es ist ein Endspiel mit klar verteilten Rollen. Hier Barça, angriffslustig, eine recht spektakuläre Elf. Dort Arsenal, ein mehr als passables Team, das derzeit von der großen Welle getragen wird und in Paris mit seinem schnellen Passspiel, aber defensiv orientierten Spielsystem überleben will. Und dazwischen Thierry Henry.
Er wird im Vergleich mit Barças Ikone Ronaldinho das ganze Spiel hindurch wie ein Verlierer aussehen – wenn man ihnen in die Gesichter sieht. Ronaldinho lächelt immer. „Und ich nie“, sagt Henry. „Es liegt daran, dass ich nie, auch wenn ich ein Tor schieße, absolut glücklich sein kann. Mein Vater hat mich so erzogen.“ Er wuchs als Sohn von Einwanderern aus Guadaloupe in der Pariser Perepherie auf, „als Kind kam ich nach Hause: Papa, ich habe ein Tor gemacht! Und er würde sagen: Ja, aber du hast nicht gut gespielt.“
So sucht Henry noch immer rastlos nach Höherem, obwohl er mit 28 als Fußballer bereits ganz oben ist. Und weil da nichts mehr ist, strebt er nach etwas Unbestimmten, einer Rolle, die es nicht gibt. Sanft und ernst versucht er – ja, was? – zu sein: vorbildlichstes Vorbild, Überfigur, Bundespräsident des Fußballs? Bei Arsenals Freistoßtraining vorm Finale schoss er nicht, sondern stand rum und gab Schützen und Torwart staatstragend Tipps. Einmal führte er den FC Fulham in einem Ligaspiel alleine vor und schlichtete dann väterlich, als zwei frustrierte Fulham-Profis aufeinander losgingen. Er engagiert sich in London in Fußballprojekten mit schwierigen Kindern, will aber auf keinen Fall, dass darüber berichtet wird; aus Angst, es könnte als PR-Stunt missverstanden werden. Als der deutsche Verteidiger Markus Babbel beim FC Liverpool sein Comeback nach einer Krankheit gab, die ihn zeitweise gelähmt hatte, war es Henry, der zu ihm kam: „Wir sind alle froh, dass du wieder da bist.“
Er scheint über alle Spieler Bescheid zu wissen; in allen Ligen. Man könnte ihn nach dem Spiel von Schalke 04 fragen, er wüsste es zu erklären. Wie ein Besessener schaut Henry Fußball im Fernsehen, „letztens sah ich Angers gegen Amiens“, französische zweite Liga, „ich schaue das und suche nach guten Spielern“, erklärte er der Zeitung L’Equipe, „das ist meine Art, diesen Spielern Respekt zu zollen.“
Solch einen Fußballer gibt es nur einmal. Natürlich hat Henry auch vor seinem möglichen Wechsel zu Barça gemacht, was kein Fußballer macht: Er hat Barças Stürmer Samuel Eto’o und Ronaldinho angerufen und sie gefragt, was sie davon hielten, wenn er käme. Es ist eine gute Frage: Brächte Henry, der doch für jede Elf ein Geschenk sein muss, Barças Erfolgssystem aus dem Gleichgewicht? Im Moment spielen sie im Sturm mit Ronaldinho, Eto’o und Leo Messi, der in Paris wohl verletzt fehlen wird. Um für Henry Platz zu machen, müsste Ronaldinho oder Messi auf die Position des Spielmachers zurückrücken, was beide gut könnten. Bei vier derart offensiv ausgerichteten Spielern sollten die anderen zwei Mittelfeldspieler devote Balljäger sein, die Ballspieler Deco und Xavi, Pfeiler dieses Barça, würden ihre Posten verlieren. Es wäre nicht die erste klasse Elf, die an einem Überschuss an Helden zerbricht.
Nach dem Finale wird Henry bekannt geben, wo die Zukunft liegt. In Villarreal fiel das Barça-Trikot, HENRY, Nummer 14, achtlos auf den Boden. Thierry Henry war damit beschäftigt, die Ordner zu bitten, den Flitzer nicht allzu hart anzupacken.