„Ein explosiver Zustand“

SPAß-ANFALL Der Kulturforscher Rainer Stollmann erklärt den tiefen Sinn der Heiterkeit

■ ist Professor für Kulturtheorie an der Universität Bremen.

taz: Herr Stollmann, was ist Lachen?

Kitzeln. Ein Überraschen der Nerven. Kein Lachen ist nicht körperlich erregt.

Im übertragenen Sinn?

Nein, auch im eigentlichen. „Ich berste vor Lachen“ ist eine sehr korrekte Ausdrucksweise. Es ist ein anarchischer, explosiver Zustand des Muskelsystems, Energie, die keine Bahnen hat, um sich zu kanalisieren. Das geschieht, wenn die Haut gekitzelt wird und auf diesen Reiz nicht programmiert ist. Genau dasselbe geschieht auch im Gehirn wenn Leute wie Harald Schmidt oder Otto Witze machen.

Otto findet ja kaum noch jemand witzig.

Weil er gut gearbeitet hat. Humor veraltet dann, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat. Und die Leute sind nicht mehr in die selbe autoritäre Haut gewickelt wie ihre Väter. Deswegen haben wir uns über Otto ausgelacht, ähnlich wie Loriot.

Bei dem war die Halbwertszeit aber länger.

Weil er an anderen Stellen gekitzelt hat. Er hat den Konformismus seiner Väter bekämpft, aber an der Höflichkeit festgehalten. Das ist ein längerfristiges Problem der zivilisierten Gesellschaft.

Und wie kam das Lachen in die Welt?

Es ist ein evolutionäres Phänomen. Mütter erfanden einst Kitzeln, um ihre Kinder zu entwöhnen. Es ist eine Mischung aus Aggression und Liebe, mit der man versucht den Schmerz und die Angst vor der Trennung möglichst schmerzfrei aufzulösen. Das ist eine hohe kulturelle Kunst, denn es unterscheidet uns von Tieren, die zur Trennung nur Aggression nutzen.

Interview: Christian Jakob

Samstag, 11 Uhr, Haus der Wissenschaft