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Archiv-Artikel

Fußball heißt verlieren lernen

AUS PADERBORN HUBERTUS GÄRTNER

Die ostwestfälische Stadt Paderborn gehört in fußballerischer Hinsicht nicht unbedingt zu den allerersten Adressen der Republik. Auch die Universität fristet dort mit etwa 14.000 Studenten ihr Dasein in der Provinz. Am vergangenen Montagabend rückte die Paderborner Hochschule aber plötzlich in den Fokus der bundesweiten Öffentlichkeit, als der Präsident des Weltfußballverbandes (FIFA), Joseph Blatter, und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich im Auditorium Maximum der Universität ein Stelldichein gaben.

Das Treffen kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft (9. Juni bis 9. Juli) war von Professor Wolf-Dietrich Brettschneider bereits im vergangenen Jahr arrangiert worden. Brettschneider lehrt an der Paderborner Hochschule. Er gilt hier zu Lande als einer der profiliertesten Sportwissenschaftler. Als Moderator des Abends gab Brettschneider aber den Gelehrten ohne Biss. Schäuble und Blatter sollten augenscheinlich völlig freie Bahn bekommen, um die große Bedeutung der Fußball-Weltmeisterschaft „für Staat und Gesellschaft“ zu preisen.

„Sie haben heute mit Frau Merkel gesprochen. In Paderborn wählen zwei Drittel CDU, da sind wir ganz unter uns“, begann Brettschneider. Blatter erwiderte kokett, er könne gar nicht glauben, dass er hier mitten in Deutschland sei, denn er habe „noch gar keine Pfiffe“ gehört. Die gab es tatsächlich nicht. Etwa 1.000 Studenten, die zwei Hörsäle bis auf den letzten Platz füllten, spendeten donnernden Applaus, nachdem Blatter ihnen „die größte und beste Weltmeisterschaft“ versprochen hatte. Die „deutsche Gründlichkeit“, so Blatter, werde schon dafür sorgen, dass zur Fußball-WM alles optimal laufe. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass das deutsche Volk die Besucher aus aller Welt „nicht als Hooligans“, sondern als Freunde betrachte.

Angesichts der großen Euphorie beim Fifa-Boss mochte Bundesinnenminister Schäuble nicht nachstehen. Deutschland habe vor insgesamt 30 Milliarden Fernsehzuschauern die einmalige Chance, sich der ganzen Welt zu präsentieren. Deshalb sollten wir „Abstand von unserer allgemeinen Jammerbefindlichkeit“ nehmen und eine „fröhliche, friedliche und sportliche Stimmung“ verbreiten, forderte Schäuble. Für die Sicherheit sei gesorgt, die wenigen Hooligans habe man unter Kontrolle.

Auf der anderen Seite ist laut Innenminister etwas mehr Großzügigkeit angesagt. Schäuble mahnte, die „dackelhafte Debatte“ darüber zu beenden, ob der iranische Präsident Ahmadinedschad zur Weltmeisterschaft nach Deutschland einreisen darf oder nicht. „Wenn er kommt, dann kommt er“, sagte Schäuble.

„Wenn die Kinder durch die Schule des Fußballs gehen, dann können sie bessere Menschen werden“, sagte kurz darauf Joseph Blatter. Beim Fußballspielen lerne man nämlich Disziplin und Respekt. Und man lerne auch das Verlieren, was wohl noch wichtiger sei als das Gewinnen. Die erzieherische Rolle des Fußballs sei vor allem in den ärmeren Ländern sehr groß, eben dort, wo das Bildungssystem noch nicht richtig funktioniere, dozierte der FIFA-Präsident.

Für einige Momente schien es beinahe so, als wolle Blatter an diesem Abend in Paderborn alle Ungerechtigkeiten dieser Welt anprangern und sie dann mit der zauberhaften Kraft des Fußballs egalisieren. Afrika sei von den europäischen Vereinen „fußballerisch ausgeraubt“ worden, klagte Blatter. Einige wenige Klubs in der europäischen Champions League würden heutzutage immer reicher, der Rest laufe nur noch hinterher.

Trotzdem: „Fußball muss Wirtschaftsfaktor sein“, sagte der im schweizerischen Wallis geborene Blatter. „Es kommt nur darauf an, was man dann mit dem Geld macht. 70 Prozent der Einnahmen gehen direkt wieder zurück an den Fußball“, sagte der FIFA-Boss. Erst dann, wenn der Weltfußballverband hohe Millionengewinne mache, könne er diese auch wieder in die Entwicklung des Fußballs investieren und große humanitäre Projekte anstoßen.

So lautet Blatters Logik, die einem so rund vorkommt wie ein alter, handgenähter Lederball. Es habe den Anschein, als bestehe der Herr Blatter „nur aus Lächeln und Krawatte“ schrieb unlängst die Neue Züricher Zeitung in ihrer Monatspublikation Folio. Auch in Paderborn blieb Blatter fast immer konziliant.

Als ihn hernach Journalisten wegen der FIFA-Steuerprivilegien zur Fußball-WM oder der Coca-Cola-Werbe-Partnerschaft scharf attackierten, lächelte Blatter immer noch. „Das ist jetzt wohl ein Frontalangriff“, sagte er ganz ruhig und gelassen. Zuvor hatte er bereits die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe kritisiert, der bekanntlich den Schutz für die Marke „Fifa-WM 2006“ aufgehoben hatte. Solch ein Urteil werde sich nicht günstig auf zukünftige deutsche Bewerbungen für Großveranstaltungen auswirken, gab Blatter zu bedenken. Innenminister Schäuble schien den Hinweis überhört zu haben. Vielleicht dachte er: „Das ist mir egal. Wir haben die WM ohnehin im Sack“. Nach dem Endspiel werden die Deutschen auf jeden Fall mehr Sport treiben, glaubt Schäuble wohl. Während der WM werden die Bundesbürger vermutlich mehr Bier trinken, als sie es ohnehin schon tun. Vielleicht ist das aber auch schon ein guter Grund, um fröhlich zu sein.