: Die Hybris der Kulturverwalter
KULTUR UND KRISE Die SPD suchte im Willy-Brandt-Haus nach neuen Wegen der Kulturfinanzierung zwischen Staat und Sponsoren. Es zeigte sich, dass die Kulturmanager ihr Publikum aus den Augen verloren haben
VON TOM MUSTROPH
Kultur ist, zum Beispiel, wenn drei ältere Damen, die sich unbedingt die Ausstellung über Königin Luise im Schloss Charlottenburg angucken wollen, aber nicht über das Geld für eine Eintrittskarte verfügen, dann vom Projekt Kulturloge die Möglichkeit erhalten, sich diesen Herzenswunsch erfüllen zu können, ohne an der Kasse ihre Bedürftigkeit nachweisen zu müssen.
Keine Kultur ist es, wenn ihnen bei ihrer Ankunft bedeutet wird, dass gar keine Tickets für sie vorliegen. Keine Kultur ist es, wenn eine Angestellte der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten der Initiatorin der Kulturloge, Angela Meyenburg, am Telefon bestellt: „Ist doch nicht schlimm. Dann kommen die eben ein anderes Mal wieder.“
Meyenburg glitzert das Tränenwasser in den Augen, als sie im Willy-Brandt-Haus steht und diese Geschichte erzählt. Ein Teil der Tränen wird durch die Demütigung ausgelöst, die diese drei Frauen erfahren mussten. Der größere Teil ist allerdings dem Zorn auf die vier Männer und eine Frau geschuldet, die sich auf Einladung des Kulturforums der SPD knapp zwei Stunden lang über die Notwendigkeit von kommunaler Kulturfinanzierung ausgelassen haben. Denn es offenbarte sich eine dramatische Diskrepanz zwischen dem Reden über die Notwendigkeit und die Finanzierbarkeit von Kunst und Kultur, und der Art und Weise, in der die Menschen, die sich mit ihr auseinandersetzen, zu Endverbrauchern eines Angebots reduziert werden.
Das Podium fand zwar wichtige und richtige Worte zum Stand der öffentlich geförderten Kultur. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, wies darauf hin, dass lediglich 1,6 Prozent der Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen der Kultur gewidmet seien. Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, machte auf eine dramatische Fehlentwicklung der letzten Jahre aufmerksam: „Kulturinstitutionen fern vom Staat zu betreiben und auf Drittelmittel für den Substanzerhalt zu setzen, ist falsch.“ Die Finanzkrise hat zu einem Rückgang an Sponsorengeldern geführt. Als Königsweg zwischen staatlichem Geld und Sponsoren schlug Bremens Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz vor, Personal- und Betriebskosten über einen Passus von Kultur als Pflichtaufgabe im Grundgesetz abzusichern, Projektgelder aber einzuwerben. Roth wiederum machte sich für ein „Shrink to Fit“ stark, was angesichts manchen verstaubten Museums nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Es stellt allerdings auch ein Einfallstor für Kürzungen dar.
Völlig absurd wurde die Veranstaltung aber, als Roth meinte, angesichts der heutigen Kommunikations- und Verkehrswege neu über Museumsstandorte nachzudenken. Die Idee, Infrastruktur am fliegenden Kulturtouristen auszurichten, während immer mehr Menschen sich nicht einmal mehr das Nahverkehrsticket leisten können, verdeutlicht die Hybris einer Kaste von Kulturmanagern.
Angela Meyenburg hat in ihrer Tätigkeit für die Kulturloge erfahren, dass die staatlichen und kommunalen Einrichtungen strukturell gar nicht in der Lage sind, in das kostenlose Ticketing für Ärmere einzusteigen. „Sie erhalten ihre Zuwendungen nach der Zahl der verkauften Tickets. Wenn sie zugeben, leere Plätze zu haben, wird ihnen im nächsten Haushalt das Geld für eine Sekretärin gestrichen“, sagte Meyenburg. Wenn aber eine kommunale Kulturverwaltung es nicht schafft, ihrem Kulturauftrag für alle nachzukommen, und dabei den Dienst, den ihr eine private Initiative bereits abnimmt, ins Leere laufen lässt, wird alles Reden über die Notwendigkeit dieser kulturellen Infrastruktur bizarr. Gesucht ist demnach zuallererst eine Kultur der Kulturverwalter.