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Archiv-Artikel

Doppelter Genuss

SPARGEL Kaum gegessen, schon stinkt’s. Nach dem Spargelessen riecht der Urin – aber nicht bei jedem. Warum ist das so?

Noch mehr aus dem Gentopf

Zungenroller: Zwei Drittel der Menschen können die Zunge rollen, also zu einer Röhre formen. Lange meinte man, die Fähigkeit werde dominant vererbt: wer es kann, wird es in jedem Fall weitervererben. Aber: Auch Kinder von Nichtrollern können rollen.

Ohrenwackler: Manche Menschen können ihre Ohren bewegen. Eine Fähigkeit, die wir unseren Vorfahren verdanken, die in der Wildnis die Lauscher nach Feinden drehen mussten. Bei den allermeisten Menschen sind diese Muskeln längst verkümmert.

Witwenspitz: So heißt der spitze Haaransatz, den etwa die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz oder der Komiker Ingo Appelt haben. Der Witwenspitz ist dominant vererbt. Das Wort ist eine Anlehnung an die Form einer früher von englischen Witwen getragenen Kappe.

VON SIMONE SCHMOLLACK

Spargel genießt man immer zweimal, sagt ein Sprichwort: erst beim Essen und später auf dem Klo. Dann nämlich stinkt der Urin nach Schwefel und nach Kohl. Und das ziemlich schnell, meist schon kurz nachdem der Teller leer ist.

Warum riecht der Urin nach dem Spargelessen? Darüber gibt es viele Spekulationen. Von Nierenleiden war früher die Rede, von anderen schlimmen Krankheiten, gar von Vergiftungen. „Alles Quatsch“, sagt Rüdiger Blume, Professor für Chemie an der Universität Bielefeld, „der veränderte Uringeruch nach dem Spargelessen ist völlig ungefährlich.“

Was ganz genau im Körper passiert, hat die Wissenschaft noch nicht bis ins Detail klären können. Eines aber steht fest: Spargel enthält jede Menge Asparagusinsäure. Das ist eine kompliziert zusammengesetzte, schwefelhaltige Substanz, die eigentlich geruchlos ist. Erst das Kochen des Spargels und der Abbauprozess im Körper sorgen dafür, dass durch die Veränderung der Säure schwefelhaltige Verbindungen entstehen, die den üblen Geruch produzieren.

Strenges Odeur

Dabei ist es völlig egal, ob der Spargel weiß oder grün ist. Grüner Spargel wächst zwar im Gegensatz zum weißen hauptsächlich über der Erde und enthält dadurch Chlorophyll, mehr Vitamin C und Carotin. Das verändert leicht seinen Geschmack – er wird etwas herzhafter –, aber beim Gang aufs Klo bleibt alles beim Alten.

Nur jeder zweite Mensch kommt in den zweifachen Spargelgenuss. Grund hierfür ist ein körpereigener Stoff, die Liponsäure, die stark der Asparagusinsäure ähnelt. Etwa die Hälfte der Menschen baut diese Liponsäure geruchsintensiv ab, sodass der Urin, der vom Körper letztlich ausgeschieden wird, stinkt. Britische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein Gen dafür verantwortlich ist, ob ein Mensch die Säure geruchsintensiv verarbeitet oder ob er sie einfach ausscheidet. Gegen das strenge Odeur nach einem Spargelessen kann man also nichts tun. Es sei denn, man isst ihn roh. Die Asparagusinsäure entfaltet ihre Wirkung nämlich erst durch das Kochen.

Spargel gilt als unglaublich gesund. Die Stangen bestehen zu 93 Prozent aus Wasser und sind demzufolge recht energiearm, hundert Gramm Spargel haben gerade mal zwanzig Kilokalorien. Das Gemüse wirkt entwässernd, Chemieprofessor Blume formuliert es so: „Was reingeht, muss auch wieder rauskommen.“ Das Rhizomgewächs enthält neben der entschlackenden Asparagusinsäure zahlreiche Spurenelemente und Vitamine, darunter Folsäure, die die Blutbildung fördert. „Betrachtet man aber die Inhaltsstoffe, kommt man schnell darauf, dass Spargel zu den Giftpflanzen gehört, wenn auch zu den schwachen“, sagt der Biochemiker. Einige wenige Menschen klagen nach dem Spargelschälen über Hautreizungen und allergische Reaktionen.

„Was reingeht, muss auch wieder rauskommen“

RÜDIGER BLUME, CHEMIKER

„Man kann von allem Ausschlag bekommen“, sagt Udo Pollmer vom Europäischen Institut für Lebens- und Ernährungswissenschaften in München. Ursachen dafür sind nach Aussage des Lebensmitteltechnikers Allergien, die entweder angeboren sind oder im Laufe des Lebens erworben werden.

Pollmer, der auch als Kritiker des Diätwahns bekannt ist, unterstützt die unter Wissenschaftlern stark diskutierte These, dass es keine gesunden Lebensmittel gibt. Er sagt: „Jeder Mensch verträgt etwas anderes. Wenn dem einen Spargel bekommt, dann hat er davon einen gesundheitlichen Vorteil. Ein anderer bekommt davon irgendwelche Beschwerden, dann ist das ganz klar zu seinem gesundheitlichen Nachteil.“

Eines aber zeichnet Spargel offensichtlich aus: Er ist ein Lebensmittel, das zunächst geruchsneutral ist und später stinkt. Es gibt aber auch Gemüsesorten, die andere ungewohnte Körperreaktionen hervorrufen. So färbt sich beispielsweise der Urin nach dem Verzehr von Roten Beten rot. „Das liegt am Farbstoff Betanin, den einige Menschen nicht abbauen können“, erklärt Rüdiger Blume. Und wenn schon der Urin rot wird, werden es die Hände erst recht, wenn man Rote Bete zubereitet. Übrigens findet sich Betanin auch im giftigen Fliegenpilz.

Noch ein Wort zu einem hartnäckigen Gerücht: Früher aß man Spargel vor allem in der Hoffnung auf wilde, aphrodisierende Kräfte. Bislang konnte die Wissenschaft aber nicht stichhaltig beweisen, dass Spargel für mehr Spaß und mehr Ausdauer beim Sex sorgt. „Es ist wohl die Form des Stängels, die das früher glauben ließ“, sagt Rüdiger Blume. Auch der Venusmuschel wird ja eine stimulierende Wirkung nachgesagt. Aber auch hier ist sicher eher Fantasie als Natur im Spiel.