ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Drei Farben deutsch!

Im Trikot von Gerald Asamoah kann man keinen Hitlergruß zeigen

Schwarz. Wie alle anständigen Deutschen habe ich ein gebrochenes Verhältnis zur Fahne. Obwohl ich mir alle Spiele der Nationalmannschaft angucke und mitnichten dafür bin, dass der Bessere gewinnt, kann ich mir nicht vorstellen, Schwarz-Rot-Gold zu schwenken. Das geht nicht.

1990 sah ich das Endspiel als Fünfzehnjähriger gemeinsam mit meiner Familie im Garten bei Freunden. Eine ganze Nachbarschaft war da: Den „Teamchef“ Franz Beckenbauer pfiffen alle aus, weil er den Schalker Olaf Thon auf der Bank ließ. Den Kapitän Lothar Matthäus verachteten sie, weil er sich davor drückte, den entscheidenden Elfer zu schießen. Über Andi Brehme, der für ihn antrat, machten alle Witze. Aber als der Ball drin war, sprangen alle durcheinander und lagen sich in den Armen. Auf der Rückfahrt griff mein Vater meiner Mutter dauernd ins Lenkrad, um zu Hupen. Völlig überflüssig, denn die ganze Stadt schien ohnehin auf den Beinen.

Aber plötzlich blockierte ein Rudel junger Männer die Straße. Meine Mutter konnte nur noch Schritt fahren. Diese Männer riefen „Deutschland, Deutschland“, nicht mehr das „Deutschlaaaaaand“ der Fans, sondern ein dröhnendes Stakkato: „Deutsch! Land! Deutsch! Land!“ Dazu schlugen sie aggressiv auf das Autodach. Und sie schwenkten Schwarz-Rot-Gold.

Meine kleine Schwester war blass. Ich schwieg. Die Hände meiner Mutter zitterten am Lenkrad und mein Vater war schlagartig stocknüchtern. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Menschen auf der Straße die Fahne meines Landes schwenken sehen. Kurz darauf gab es die Wiedervereinigung. Dann brannten die Asylbewerberheime. Unsere Zeitungen druckten das Foto eines Ossis, der im deutschen Weltmeistertrikot den Hitlergruß zeigte und sich augenscheinlich vorher in die Hose gepisst hatte.

Rot. Wie alle anständigen Deutschen war ich im Sommer 2002 gegen den Krieg im Irak. Die regenbogenbunte Fahne, die schon Schwulen und Indianern gedient hatte, war das Symbol dieser Haltung geworden. Meist stand auf Italienisch „Pace“ darauf, manchmal auf Englisch „Peace“. Die Antikriegsfahne war in diesem Sommer allgegenwärtig: in den Fenster von Wohnungen, in Schulen, in Schaufenstern, auf Balkonen. Im alternativen Kreuzberg, im arabischen Neukölln, auf allen großen Demos. Schüler schwenkten sie auf dem Weg zu ihren Protesten, Künstler posierten damit auf der Bühne. Nur der Nachbar über uns, ein Kauz, von dem wir nicht viel wissen, hängte „Stars and Stripes“ aus dem Fenster. Irgendwann klingelte es, meine Freundin drückte die Gegensprechanlage:

– „Warum habt ihr die scheiß Ami-Fahne rausgehängt“, schrie sie jemand an, der sich im Stockwerk geirrt hatte.

– „Was?“

– „Seit ihr etwa Juden?“

Selten habe ich meine Freundin so blass gesehen. Wir sind auf keine Demo gegangen.

Gold. Wie alle anständigen Deutschen freue ich mich auf die Fußballweltmeisterschaft. Seit ein paar Jahren sieht man bei Länderspielen sehr junge Leute, die sich schwarz-rot-gold anmalen oder Perücken in unseren Nationalfarben tragen. Beim Confederations Cup zeigte das Fernsehen sogar Blondinen in schwarz-rot-goldenen Bikini-Oberteilen. Ich bin nicht so verstockt, dass ich das als gefährlichen neuen Nationalismus interpretiere. Im Gegenteil: Diese Fans kopieren ja offensichtlich die Outfits der Dänen, Engländer und Brasilianerinnen. Ich glaube auch nicht, dass Leute, die ein Asylbewerberheim angreifen, dabei ein Trikot von Gerald Asamoah oder David Odonkor tragen können. Meine Schwester hat vor einer Woche meinem Sohn zur WM ein kleines Trikot geschenkt: Sie hat es im Urlaub in Spanien gekauft. Es ist ein Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft und trägt die Nummer 11.

– „Adriano von Inter Mailand? Warum?“, fragten wir.

– „Bei den Größen für Babys gab es nicht so eine große Auswahl“, erklärte meine Schwester: „Außer diesem war nur noch die Nummer 1 von Deutschland da.“

Fragen zur Fahne? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany über GONZO