Hysterische Symbiose mit der Macht

Wenn die Musik klüger als die Helden ist: Jutta Brückner hat mit „Hitlerkantate“ einen Film über die erotischen Anteile faschistischer Verführung gedreht

von MADELEINE BERNSTORFF

Es ist wieder Frühling, und wieder gibt es einen Film über den Nationalsozialismus. Aber dieses Mal geht es nicht um das Gespenstische, das Parodistische oder um distanzlose Monumentalregression, sondern um den hysteroiden Mehrwert, der Millionen deutsche Frauen in Verzückung geraten ließ angesichts eines immer viel zu laut schreienden Politikers.

Jutta Brückner ist Professorin an der Universität der Künste in Berlin und hat sich in früheren Jahren ausführlich mit Pornografie aus feministischer Sicht beschäftigt. Später machte sie in ihrem Film „Hungerjahre“ (1980) den weiblichen Körper der Fünfzigerjahre zum Zentrum eines Bildungsromans. Ihr neuer Film „Hitlerkantate“ über die erotischen Anteile faschistischer Verführung hat ein an Kolportage grenzendes Drehbuch. Er spielt im Berlin von 1938. Die glühende Hitlerverehrerin Ursula (Lena Lauzemis), blond, blauäugig, eine klobige, selbstbewusste Schönheit, möchte unbedingt Komponistin werden, wird aber an der Musikhochschule abgelehnt von dem von ihr verehrten Professor Broch (Hilmar Thate), einem ehemaligen Linken und Schützengrabenkameraden ihres im Ersten Weltkrieg gefallenen Vaters. Der Professor schickt ihre eingereichte Komposition, die „Hitlerkantate“, ungelesen zurück. Ursula wohnt im selben Haus mit einem Fotografen, der Propagandafilme zusammenschneidet, sie mit zeitgenössischen Schlagern – „Baden gehen, Waden sehn“ – unterlegt und nach Feierabend Erotikfotos produziert.

Ursulas Verlobter Gottlieb, ein ehrgeiziger SA-Mann, sucht im Auftrag der Reichsmusikkammer nach einem Komponisten, der zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag einen Lobgesang komponieren soll. Dafür wird dann just jener Professor Broch ausersehen, dessen Stücke schon lange nicht mehr aufgeführt worden sind. Der gibt sich wortkarg und stellt seine Bedingungen: wenn seine Musik wieder im Rundfunk gespielt werde und er diese Auftragskomposition in einem Sommerhaus in Finnland ausführen könne. Man gibt ihm die junge Ursula als Assistentin und regimetreue Spitzelin mit.

Es kommt zu ideologischen Auseinandersetzungen über Politik und Musik, Dur und Moll, Romantik und Realismus. Brochs Frau ist eine jüdische Sängerin, die seit der Machtergreifung der Nazis im Ausland lebt und arbeitet, die beiden haben sich schon lange nicht mehr gesehen. Ursula verliebt sich in Professor Broch, und der erliegt widerstrebend ihrer Verführung. Ursulas hysterische Symbiose mit dem Körper der Macht verschiebt sich auf den väterlichen musikalischen Meister.

Inzwischen überbringt Ursulas Verlobter Gottlieb zu Hause in Berlin dem Fotografen einen Auftrag, pornografische Filme für die „Unterwanderung des polnischen Volkes“ zu drehen. Modell in diesen Filmen ist die blonde Jüdin Gisela, die der Nazisse Ursula zum Verwechseln ähnlich sieht. Als Gottlieb erfährt, dass sie Jüdin ist, rattert es in seinem Gehirn und in seinen Trieben, er konfisziert den Film und benutzt ihn als Wichsvorlage. Gottlieb macht inzwischen Karriere bei der SS, kommt dann mal in Finnland vorbei, um Schädelmessungen vorzunehmen, da er nun heiraten soll und Ursulas Ariernachweis ungültig ist.

Schließlich trifft auch Brochs Gattin ein und spürt das Verhältnis ihres Mannes mit der jungen Blonden. Broch trennt sich von Ursula, nennt sie Naziflittchen, sie kehrt nach Berlin zurück, inzwischen ist die Familie der Jüdin Gisela während antisemitischer Ausschreitungen, Generalprobe für den Novemberpogrom, aus der Wohnung geprügelt worden. Der Fotograf versteckt die junge Frau, die er liebt. Ursula erfährt von ihrer drohenden Verhaftung und gibt ihr ihre eigene Kennkarte, damit sie unter ihrem Namen fliehen kann. Die Kantate wird nie geschrieben.

Das alles klingt ein bisschen unfassbar, thematisiert dauernd seine eigene Konstruiertheit und entrollt sich vor unseren Augen mit Humor und den eindrucksvollen Bildfindungen des Kameramanns Thomas Mauch. Hilmar Thate spielt mit atemberaubender Präsenz und repräsentiert etwas Väterlich-Bohèmehaftes, das allerlei Anlehnungsfantasien provoziert, und dann läuft er mit einer jetztzeitigen Barbourjacke durch den finnischen Wald. Die Trugbilder weiblicher Autonomie, bedingungsloser Hingabe bleiben historisch vermittelt. Die Drehorte, etwa die von Werner March gebaute jugoslawische Botschaft am Tiergarten, markieren die andauernde Präsenz steingewordener Machtinszenierungen. Die innere Logik hinter den wilden Drehungen der Geschichte entwickelt sich jedoch durch die von Peter Gotthardt komponierte, diegetische Musik: „Die Musik ist klüger als die beiden Helden. Zum Schluss gibt es eine Zwölftonreihe. Wenn sich beide wie geschlagene Krieger am Klavier einfinden, sind sie musikalisch in der Modernität angekommen. Während draußen auf der Straße zu Hitlers Geburtstag noch Politik nach dem Wagnersound gemacht wird, haben sie das Erlebnis des Scheiterns schon hinter sich, das die anderen Deutschen noch vor sich haben“, sagt die Regisseurin.

„Hitlerkantate“. Regie/Buch: Jutta Brückner. Mit Hilmar Thate, LenaLauzemis u. a. D 2005, 124 Min.