„Komplex faktenmäßig nicht im Griff“

Der BND bespitzelte Journalisten, Journalisten bespitzelten für den BND Kollegen: Wer war Opfer und wer auch Täter? Beim Netzwerk Recherche warnt man vor der Schadenfreude der Politiker. Die aber haben vielleicht noch gar nichts verstanden

AUS HAMBURGSTEFFEN GRIMBERG

Wenn Journalisten Journalisten verraten, ist der Ofen aus.

Schluss mit dem netten Bonmot von Helmut Schmidt, der BND sammle doch in erster Linie Zeitungsausschnitte. „Heute wissen wir: Er hat die Kollegen gleich mit gekauft“ sagt Karl Günther Barth. Er war während seiner Zeit beim Stern selbst ins Visier des Auslandsgeheimdienstes geraten, hatte viel mit Wilhelm Dietl gearbeitet. Dietl, mit über 600.000 Mark vom BND für jahrelange Spitzeldienste entlohnt, habe aber „nicht so gravierendes Zeug“ über ihn weitergegeben, so Barth am Samstagabend bei der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Das Thema der Diskussion: „Kollege Spitzel“.

Die Bewertungen im Fall Dietl liegen auf der Hand. „Journalistisches Lumpenpack“ nennt Hans Leyendecker von der Süddeutschen Medienarbeiter, die „Informationen über Kollegen an den BND liefern“. Deshalb bleibt auch der Geheimdienstkritiker Erich Schmidt-Eenboom, der seit Mitte der 1990er-Jahre vom BND überwacht wurde, sich aber auch gezielt mit BND-Mitarbeitern traf, für Leyendecker ein „Komplize“: Zwar sei Schmidt-Eenboom „Opfer“, doch habe er selbst auch Informationen an den BND weitergegeben. Schmidt-Eenboom, der bereits am Samstag in der taz die Darstellung der Süddeutschen Zeitung als „grundfalsch“ dementiert hatte, rechtfertigte in der Diskussion seine Arbeit als „journalistischen Versuch, in diese Abgründe einzudringen“, als ein notwendiges „Geben und Nehmen“ und als „Katz-und-Maus-Spiel“, bei dem er in einigen Fällen zu weit gegangen sei.

Die Aufarbeitung bleibt schwierig, zumal sich zusätzlich mediales Konkurrenzverhalten breit macht: Leyendecker gegen Focus, Schmidt-Eenboom gegen die Süddeutsche.

Die Politik, sagt der SPD-Geheimdienstexperte Dieter Wiefelspütz, habe sich erst einmal an die eigene Nase zu fassen. Für Konsequenzen sei es jedenfalls noch viel zu früh: „Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir den Komplex faktenmäßig im Griff haben.“ Schon deswegen müsse der Bericht des Bundesrichters Gerhard Schäfer über die BND-Aktionen gegen Journalisten veröffentlicht werden, fordert Karl Günther Barth, heute stellvertretender Chefredakteur bei Springers Hamburger Abendblatt. Seine früheren Bedenken gegen eine Veröffentlichung hat er wie Schmidt-Eenboom fallen lassen, da Schäfer alle Punkte zur Privatsphäre der Bespitzelten aus dem 170-seitigen Hauptbericht herausgelassen habe.

Dass der Bericht die Lage endgültig klärt, glaubt aber auch Barth nicht: „Man sollte beim Schäfer-Bericht Vorsicht walten lassen: Er ist für das Parlamentarische Kontrollgremium erstellt, in dem bekennende Journalistenhasser sitzen“, sagt Barth und meint vor allem den SPD-Mann Olaf Scholz. Mancher warte nur darauf, dass sein Berufsstand vorgeführt werde – „da brennt die Schadenfreude lichterloh“, so Barth: „Wir sollten uns nicht von der Politik eine Diskussion aufzwingen lassen und uns dann selbst zerfleischen.“