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Archiv-Artikel

Unter Kombattanten

Ivan Basso und Jan Ullrich peilen den Toursieg 2006 an. Beim Giro d’Italia zeigt der Italiener als Gesamtführender eine beeindruckende Frühform, der Deutsche gibt wie immer Rätsel auf

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Paolo Salvodelli hat aufgegeben. Zwar wird er den Giro d’Italia, dessen letzte Etappe am kommenden Sonntag stattfinden wird, zu Ende fahren, doch Siegchancen rechnet sich der Titelverteidiger nicht mehr aus. Das Peloton muss in der Schlusswoche noch über die Dolomiten klettern, dennoch glaubt kaum einer der Fahrer, dass der bislang so dominante Ivan Basso noch abzufangen ist. Vor der 15. Etappe betrug Bassos Vorsprung im Gesamtklassement auf den Zweitplatzierten José Enrique Gutierrez aus Spanien 3:27 Minuten. Salvodelli liegt als Dritter schon 5:30 Minuten zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass Basso so stark ist. Er ist viel entspannter als letztes Jahr“, sagte Vorjahressieger Salvodelli im Ziel der 14. Etappe in Domodossola.

In der Tat klettert Basso in diesen Tagen des Mai die Passstraßen mit offensichtlicher Leichtigkeit hoch. Ein süßes Lächeln umspielt seine Züge, während sich etliche seiner Kollegen mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern bergauf quälen. Nur an einem Tag wirkte der Italiener, der für das dänische Team CSC fährt, nicht sonderlich entspannt. Beim Einzelzeitfahren im Gegenwind von Pontedera holte Basso alles aus sich heraus. Seine Konkurrenten im Kampf um das rosa Trikot des Gesamtführenden konnte er allesamt klar schlagen. Gewonnen hat das Rennen über 50 Kilometer jedoch Jan Ullrich. Und damit hat ein Duell begonnen, das ab dem 1. Juli in seine heiße Phase treten wird. Dann nämlich beginnt die Tour de France – und es wird die Frage geklärt, wer Seriensieger Lance Armstrong beerbt. Ivan Basso, der Zweitplatzierte des vergangenen Jahres, rechnet seit dem Einzelzeitfahren rund um den Schiefen Turm von Pisa wieder mit dem deutschen Problemradler, der wegen massiver Beschwerden im Knie verspätet in die Saison gestartet war.

Für die Tour hat der 28-jährige Rennfahrer aus der Lombardei bereits einen Plan aufgestellt. „Auf dem Zeitfahrkurs in Rennes könnte Jan mir 2 Minuten abnehmen – wenn es gut für ihn läuft. Im zweiten Zeitfahren wird er mir 90 Sekunden abnehmen. Das sind zusammen dreieinhalb Minuten, die ich ihm in den Bergen abnehmen muss“, rechnete Basso in einem Interview mit der Gazzetta dello Sport vor. Zwar will Basso den Giro gewinnen, sein Hauptaugenmerk gilt jedoch der Tour de France.

Spätstarter Jan Ullrich nutzt den Giro zum Formaufbau, Konkurrent Basso rollt sich derweil im rosa Trikot für die große Schleife in Frankreich ein. Und während Ullrich die Berge im Gruppetto der Sprinter und Rouleure hinauffährt, um die letzten Fettpölsterchen an seinem Körper abzutrainieren, zeigt Basso, was schon alles in seinen Beinen steckt. Auch wenn die Herangehensweise unterschiedlicher kaum sein könnte, benutzen beide den Giro als Vorbereitung auf die Frankreichrundfahrt. Und beide haben sich auf ihre Weise Respekt verschafft.

Wie sinnvoll es ist, den Giro als Vorbereitung für die Tour de France zu nutzen, wird sich aber erst noch zeigen. Marco Pantani war im Jahr 1998 der letzte Fahrer, dem es gelungen ist, die beiden großen Landesrundfahrten im selben Jahr zu gewinnen. In den vergangenen Jahren konnten die Fahrer, die beim Giro ganz vorne gelandet sind und anschließend in Frankreich unterwegs waren, bei der Tour meist nicht überzeugen. Ivan Basso allerdings hat in der letzten Saison bewiesen, dass ihm die Doppelbelastung wenig ausmacht. Dass er damals in Italien nicht gewonnen hat, lag einzig an einem Magen-Darm-Virus, das ihn auf einer Dolomitenetappe ausbremste. Als er wieder gesund war, gewann er ein Zeitfahren und eine weitere Etappe in den Bergen. Anschließend ließ er sich als Gesamtzweiter der Tour auf den Champs-Élysées feiern.

Jan Ullrich kam im vergangenen Jahr als Dritter in Paris an – ohne den Giro in den Beinen zu haben. Das harte Training unter Wettkampfbedingungen ist neu für ihn. Ullrich hat erklärt, in den Wochen nach dem Giro verstärkt Krafttraining machen zu wollen. Das Einrollen im Kreis von Kombattanten scheint nicht auszureichen. Vielleicht ist aber der Aufbau von Muskelmasse im Kraftraum auch deshalb notwendig, um Ullrichs Problemknie ein wenig zu entlasten. Nach der Bergetappe vom Samstag hat Ullrich jedenfalls in einem Interview bekannt, dass es nach wie vor zwickt im Knie.