: „Die SPD bestimmt die Richtung der Verhandlungen“
ANSAGE Der SPD-Linke Jan Stöß plädiert für das Bündnis mit Angela Merkel – und für rote Linien
■ 40, ist promovierter Jurist und seit 2012 Landesvorsitzender der Berliner SPD. Der SPD-Bundesparteitag in Leipzig wählte ihn in den künftigen Bundesvorstand der Partei.
taz: Herr Stöß, steht diese Große Koalition für einen Politikwechsel?
Jan Stöß: Wenn wir etwa den gesetzlichen Mindestlohn, die doppelte Staatsangehörigkeit und Verbesserungen bei der Rente durchsetzen können – dann ja. Und das reicht der SPD?
Das ist kein vollständiges Regierungsprogramm, aber es sind zentrale Punkte. Wenn wir erreichen, dass junge Bürger mit Migrationshintergrund ihren Pass nicht abgeben müssen, gerade wenn wir dies im Konsens mit der Union durchsetzen, dann hat das hohen gesellschaftspolitischen Wert. Das verändert dieses Land zum Besseren.
Ohne 8,50 Euro Mindestlohn, doppelte Staatsangehörigkeit, mehr Rente kein Ja der SPD?
Das sind unsere roten Linien. Ohne substanzielle Verbesserungen in diesen drei Feldern werde ich dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen.
Es gibt auch keynesianische Wirtschaftsexperten, die 8,50 Euro Mindestlohn für zu hoch halten. Zu Recht?
Nein, das ist ja nun wirklich ausdiskutiert. Wir müssen Schluss machen mit dem sittenwidrigen Aufstockermodell, bei dem Menschen voll arbeiten und trotzdem noch Geld vom Staat beziehen müssen.
Damit ist das Risiko verbunden, dass die Pommesbude in Prenzlau pleitegeht.
Es wird trotzdem Pommes in Prenzlau geben, die Pommesbude kann ja nicht einfach in ein Billiglohnland abwandern. Vielleicht sind die Pommes dann etwas teurer, das stimmt. Es geht um eine volkswirtschaftlich gebotene Korrektur und um die Würdigung der Arbeit, die Menschen leisten.
Also 8,50 Euro in Ost und West zum gleichen Termin?
Ja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD sonst dem Koalitionsvertrag zustimmt.
Die SPD hatte in den Verhandlungen als Erstes Steuererhöhungen für Reiche eine Absage erteilt. Ein Fehler?
Die Union hat Steuererhöhungen ja für unverhandelbar erklärt. Allerdings ist das sehr kurz gedacht. Auch die Union hat sozialpolitische Ideen, etwa die Mütterrente ist kostspielig. Und es ist falsch, alles über die Sozialversicherungen zu finanzieren. Das wäre ein Rückfall in die Kohl-Ära. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften warnen bereits dringend davor, Verbesserungen wie die Mütterrente allein aus der Rentenversicherung zu bezahlen. Vielleicht gibt das der Union zu denken.
Der designierte IG-Metall-Chef Detlef Wetzel sieht kaum Fortschritte bei der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen. Und glaubt nicht, dass die SPD-Basis dazu Ja sagen wird.
Das sehe ich anders. Wir werden da Vorzeigbares erreichen. Sogar der neue BDA-Präsident Kramer sieht ja, dass es Missbrauch etwa in der Fleischindustrie gibt und mehr Regulierungen nötig sind.
Kommt die Große Koalition?
Ich glaube, ja. Die SPD ist die deutlich ton- und richtungsbestimmende Kraft in diesen Verhandlungen. Das hätte ich vor ein paar Wochen so nicht erwartet. Aber das hängt natürlich davon ab, welche Inhalte am Schluss im Koalitionsvertrag stehen.
Herr Stöß, Sie gehören zur SPD-Linken. Warum ist die SPD-Linke eigentlich so schwach?
Die SPD-Linke ist so stark wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Inwiefern?
Die inhaltlichen Korrekturen der Agenda-Politik gäbe es ohne die SPD-Linke nicht. Und beim Leipziger Parteitag haben wir die Öffnung Richtung Linkspartei beschlossen. Endlich, nach 23 Jahren. Das ist unser Erfolg. Die Strategie, darauf zu warten, dass es die Linkspartei in Parlamenten irgendwann nicht mehr geben wird, ist gescheitert.
Auch 2009 gab es die Hoffnung, dass etwas Produktives zwischen SPD und Linkspartei in Gang kommt. Vergeblich. Warum soll das nun anders sein?
Die Annäherung ist möglich, wenn man sie will. Das gilt auch, sogar vor allem, für die Linkspartei. Sie muss aufhören, in der SPD ihren Hauptgegner zu sehen. Es muss eine kulturelle, kommunikative Änderung geben. Denn gemeinsame politische Inhalte gibt es ja.
Also Verständigung herstellen?
Ja, auch auf Führungsebene. Da kommt auf die SPD-Linke eine Aufgabe zu.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE