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Archiv-Artikel

Limbach lobt feine Bürgernerven

Expräsidentin des Bundesverfassungsgerichts stellt den zehnten Grundrechtereport vor

KARLSRUHE taz ■ „Der Sinn für Privatheit muss genauso gelernt werden wie die Spielregeln der Demokratie“, erklärte gestern Jutta Limbach, einst Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, heute in gleicher Funktion beim Goethe-Institut tätig. Wer „redselig und schwatzhaft“ per Handy privateste Dinge öffentlich verbreite, habe auch kein Bewusstsein für die zunehmende Überwachung des Telefonverkehrs. „Grundrechtsschutz beginnt bei uns selbst“, folgerte Limbach.

Sie stellte gestern in Karlsruhe den zehnten Grundrechtereport vor, einen alternativen Verfassungsschutzbericht von neun Bürgerrechtsorganisationen, von der Humanistischen Union (HU) bis zu Pro Asyl. Während aber die Innenminister extremistische Bürger beobachten, kontrollieren die Bürgerrechtler vor allem den Staat.

Und diesmal ist die Bilanz ungewohnt positiv ausgefallen. Fast jeder dritte Beitrag kündete von einem Erfolg. So stärkte das Bundesverwaltungsgericht die Gewissensfreiheit von Soldaten und bewahrte einen Major vor Sanktionen, der keinerlei Beitrag zum Irakkrieg leisten wollte. Und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg beanstandete so genannte „Gefährderanschreiben“, mit denen Globalisierungskritiker von der Teilnahme an legalen Demonstrationen abgehalten werden sollten.

Doch genügt es laut Limbach nicht, auf Richter zu vertrauen. Vielmehr sei für die Gerichte die Vorarbeit und der Rückhalt von Bürgerrechtlern sehr wichtig. Nur diese seien „feinnervig“ genug, um auch in Grauzonen ein Gefühl für die Bedrohtheit der Grundrechte zu entwickeln. „Ohne das Engagement von Bürgerrechtlern kämen auch Gerichtsurteile nicht zustande, die auf den rechtsstaatlichen Umgang mit Terrorverdächtigen bestehen“, erklärte Limbach.

Till Müller-Heidelberg, Exvorsitzender der HU, kritisierte jedoch, dass grundrechtsfreundliche Gerichtsurteile vom Gesetzgeber teilweise nicht beachtet würden. So hätten die „Verfassungsfeinde“ in Bundesregierung und Bundestag durchgesetzt, dass die Vorgaben des Verfassungsgerichts für Lauschangriffe in Privatwohnungen nicht ausreichend beachtet werden.

Mit einigen wenigen Beiträgen werden aktuell auch Grundrechtsverletzungen von Privatunternehmen gerügt. So wird Banken und anderen Unternehmen vorgeworfen, dass sie beim „Scoring“ bestimmte Verbraucher aufgrund bloßer statistischer Annahmen diskriminieren. Ein Bankkunde müsse oft höhere Kreditzinsen zahlen, nur weil er aus einem sozial schwierigen Viertel stamme. Wie der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert erklärte, sind zwar die gesetzlichen Grundlagen in Ordnung, hätten aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Hier müssten Daten- und Verbraucherschützer aktiver werden.

Aufgrund solcher „präziser“ Beiträge zeigte sich Jutta Limbach vom Grundrechtereport so beeindruckt, dass sie ihn sogar für den Schulunterricht empfahl. CHRISTIAN RATH