„Kleine Arbeitstierchen“

VORTRAG Das Bremerhavener Auswandererhaus erinnert an den 40. Jahrestag des „Anwerbestopps“

■ 41, ist promovierte Historikerin und seit 2006 Direktorin des Auswandererhauses Bremerhaven.

taz: Frau Eick, was wäre passiert, wenn das Bundeskabinett 1973 nicht verfügt hätte, keine sogenannten „Gastarbeiter“ mehr nach Deutschland zu vermitteln?

Simone Eick: Dann wären sicher nicht so viele Menschen nach Deutschland eingewandert. Den hier arbeitenden Ausländern wurde gesagt: „Wenn ihr in eure Heimat zurückfahrt, dürft ihr nicht mehr als Arbeitnehmer nach Deutschland zurückkehren.“ Also sind viele Beschäftigte einfach geblieben und haben ihre Familien nachgeholt.

Ist Deutschland damit unfreiwillig zum Einwanderungsland geworden?

Das könnte man so sagen. Und es wurde deutlich, dass es nicht um Menschen ging, sondern um kleine Arbeitstierchen, die schnell wieder verschwinden sollten. Dabei war es ja nicht so, dass Deutschland keine Erfahrung hatte: Bereis 1871 gab es die ersten „Gastarbeiter“, auch wenn sie anders genannt wurden, und in den beiden Weltkriegen Millionen von Zwangsarbeitern. Darunter auch Italiener – und die wurden nur zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder zum Arbeiten nach Deutschland geholt.

Ist der Umgang mit den Zuwanderern kein Thema der 68er-Bewegung gewesen?

Kaum. Die haben über Vietnam und die Frauenbewegung und später über die RAF dieses Thema einfach vergessen. Mit Günter Wallraffs Buch „Ganz unten“ wurde erst Mitte der Achtzigerjahre zum ersten Mal das Leben der Türken in Deutschland und der Chauvinismus gegenüber diesen Menschen, die so viel geleistet haben, groß thematisiert. Ansonsten wurde sich schlichtweg nicht um sie gekümmert. Die Integration der zweiten und dritten Generation hat aus eigener Kraft stattgefunden. Und dann kam die Wiedervereinigung und mit ihr Eskalationen, deren Ursachen im Umgang der DDR mit ihren „Gastarbeitern“ lag – darauf richtete sich dann der Blick.

Aber niemand redet heute mehr bei türkischstämmigen Menschen von „Gästen“ ...

... aber erst 2010 hat ein deutscher Bundespräsident zum ersten Mal gesagt, dass der Islam zu Deutschland gehört – ganz schön spät, finden Sie nicht? INTERVIEW: SCHN

So, 10.30 Uhr, Auswandererhaus Bremerhaven