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Archiv-Artikel

Merkel eröffnet Mehdorn-Mahnmal

Berlins neuer Hauptbahnhof wird heute von Angela Merkel eröffnet. Er ist eine Kathedrale des Verkehrs: riesig, teuer, luxuriös, modern. Doch Skeptiker kritisieren die überdimensionierte Nachwende-Planung, die sich ihrer Ansicht nach nicht rechnen wird

von ULRICH SCHULTE

Hartmut Mehdorn hätte sich keinen schlechteren Platz fürs Pressefoto aussuchen können. Als der Bahnchef im November durch den fast fertigen Hauptbahnhof führte und sich einmal lässig an ein Geländer mit der riesigen Halle als Hintergrund lehnte, baumelte unbemerkt von Mehdorn über ihm Stahlschlinge. Ein böses Omen?

Gehenkt wird der oberste Bahner für den Luxusbahnhof, der heute mit einem furiosen Lichtspektakel im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet wird, wohl nicht. Doch Verkehrsexperten äußern scharfe Kritik an dem neuen Hauptstadtbahnhof: zu teuer, überdimensioniert, kaum an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, so der Tenor.

Tatsächlich ist fraglich, ob der Bau mit der 321 Meter langen, gläsernen Halle, den sechs Panoramaaufzügen und der Austern-Bar ausgelastet sein wird. Gleiches gilt für andere Bahnbauten in Berlin, die ebenfalls mit dem Fahrplanwechsel zum 28. Mai ans Netz gehen. Denn die Planungen entstanden in der Nachwende-Euphorie, als Stadtplaner Berlin sechs Millionen Einwohner prognostizierten – und der Kanzler Helmut Kohl’sche Größe neben dem Regierungsviertel forderte.

Während die Bahn gern jedes Detail der „filigranen und lichtdurchfluteten Architektur“ erklärt, wird sie beim Thema Geld einsilbig. Es gibt Schätzungen, dass allein der Hauptbahnhof zwischen 700 Millionen und 1 Milliarde Euro gekostet hat. Bahnsprecher Burkhard Ahlert hält sich an das verordnete Schweigegebot: „Um eine seriöse Summe nennen zu können, müssen alle Posten abgeschlossen sein. So weit sind wir noch nicht.“ Die Bahn rechnet lieber allgemein: Das nach der Wende beschlossene Verkehrskonzept für die ehemals geteilte Stadt hat 10 Milliarden Euro gekostet. Davon übernahm die Bahn 1,5 Milliarden, der Bund bezahlt den Rest – aus Steuergeld. Kalkuliert war einst die Hälfte.

Intransparentes Gebaren

Die Gutsherrenmentalität der Bahnbosse, die über die Verwendung so riesiger Summen öffentlichen Geldes kaum Auskunft geben, regt Kritiker seit langem auf. „Die tun so, als seien sie ein Privatunternehmen – und verweigern selbst Kontrollgremien wie dem Parlament jeden Einblick“, sagt der grüne EU-Abgeordnete und Verkehrsexperte Michael Cramer. Das intransparente Gebaren des Staatskonzerns ruft auch unabhängige Prüfer auf den Plan.

Der Bundesrechnungshof hat zum Bahnhof Südkreuz, der für den Berliner Süden der zentrale ICE-Halt wird, eine Prüfung eingeleitet. „Wir untersuchen auch Verkehrsbeziehungen zum Hauptbahnhof, etwa den Nord-Süd-Tunnel“, sagt Rechnungshofsprecher Michael Reinert.

Auch beim dritten Bahnhof der neuen Berliner Nord-Süd-Verkehrsachse, der Station Gesundbrunnen, gebe es Aspekte, die man sich anschauen werde. Erste Ergebnisse erwartet Reinert in zwei, drei Monaten. Der Bund der Steuerzahler will der Bahn gleich ein ganzes Dossier widmen, was im Herbst erscheinen soll. „Auch den Nutzen der Berliner Bahnbauten für den Verkehr werden wir kritisch hinterfragen“, kündigt Geschäftsführer Reiner Holznagel an. Was die Bahn als „Drehscheibe für den internationalen Verkehr“ bejubelt, könnte also schon bald Kratzer bekommen.

Zumal Verkehrsexperten prognostizieren, dass sich die Riesenbauten kaum mit Verkehr und Menschen füllen lassen. Am Zoologischen Garten steigen täglich 150.000 Leute aus und um, am neuen Hauptbahnhof sollen es vom ersten Tag an doppelt so viele sein. „Viele Schaulustige und Touristen werden allein wegen der Architektur kommen“, sagt Ahlert. Auch auf lange Sicht träumt die Bahn von einer wundersamen Fahrgastvermehrung in Berlin. Reisen derzeit jährlich 13 Millionen Menschen im Fernverkehr, sollen es 2010 schon 19 Millionen sein.

Andererseits haben die Bahnplaner strategische Fehler gemacht, kritisiert Karl-Peter Naumann. „Verbindungen nach Norddeutschland wurden sträflich vernachlässigt“, sagt der Bundeschef des Fahrgastverbandes Pro Bahn. So werde zum Beispiel Rostock vom Fernverkehr abgehängt. Auch in Richtung Polen sehe es düster aus.

Zweifel an Jubelprognosen

Auch Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, kommen bei den Jubelprognosen Zweifel. Wie schwer es die Bahn hat, ihre Bauten in der Gegenwart rechtfertigen, erklärt Tschepe mit einem Rechenbeispiel. Momentan fährt das Gros des Zugverkehrs über die Stadtbahn, die Berlin von West nach Ost durchquert. Sie hat zwei Gleise. Schon bald rattern die Züge, ihre Zahl ändert sich nicht, über sechs Gleise. Im Tunnel liegen vier Spuren, extra gefedert, damit die Hochhäuser des Potsdamer Platzes nicht wackeln. „Dass solche Überkapazitäten in eine Stadt gestellt wurden, ist in der Nachkriegsgeschichte der Bahn einmalig“, kommentiert Tschepe.

Der Hauptbahnhof ist wie ein Raumschiff auf dem Gebiet des ehemaligen Mauerstreifens gelandet. Nur dort, nördlich von Spree und Regierungsviertel, war Platz genug. Deshalb ist der Bahnhof an den städtischen Nahverkehr nur schlecht angebunden. Die Berliner Verkehrsbetriebe führen in letzter Minute Buslinien heran. Andere Projekte wie eine S-Bahn- und U-Bahn-Linie werden nach Pannen und Verspätungen erst in ferner Zukunft fertig. Und drum herum breitet sich Berlin aus auf einer Fläche, auf die die Stadt Düsseldorf mehr als viermal passen würde. „In diese dezentrale Stadtstruktur einen Zentralbahnhof zu setzen war genauso intelligent, als ob in Wanne-Eickel ein Zentralbahnhof gebaut und die Hauptbahnhöfe Essen, Dortmund und Bochum vom ICE-Verkehr abgekoppelt würden“, lästert der Grüne Cramer.

Solche Kritik will Bahnchef Mehdorn auf seiner riesigen Eröffnungsparty aber nicht hören. Pro-Bahn-Chef Naumann, der den wichtigsten Fahrgastverband Deutschlands vertritt, ist ausdrücklich nicht eingeladen – trotz seiner verblüfften Nachfrage bei der Bahn.

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