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Archiv-Artikel

Immer mehr Verkehr, trotz Krise

MOBILITÄT Weltverkehrsforum in Leipzig: Experten erwarten eine Verdreifachung des Luftverkehrs bis 2050. Bundespräsident Köhler fordert mehr Kostenwahrheit der Branche

VON RICHARD ROTHER

Drei Tage haben sie debattiert, analysiert und reflektiert – die hochrangigen Teilnehmer des Weltverkehrsforums in Leipzig, das am Freitag zu Ende ging. Die weltweiten Verkehrsprobleme aber bleiben bestehen – und sie werden sich verschärfen. Das jedenfalls geht aus einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, die auf dem Forum vorgestellt wurde. Trotz Wirtschaftskrise werden demnach Bevölkerungswachstum, zunehmende Verstädterung und steigende Einkommen in den nächsten Jahrzehnten die globale Nachfrage nach Verkehrsleistungen weiterhin stark ansteigen lassen.

Dabei gehen die OECD-Forscher davon aus, dass die Kapazitäten kaum mit der steigenden Nachfrage mithalten können. Daher müsse die vorhandene Verkehrsinfrastruktur effizienter genutzt werden. Dies sei auch geboten, um Verkehrsprobleme wie Staus, Luftverschmutzung oder Lärm zu reduzieren. Der Luftverkehr werde der am schnellsten wachsende Bereich des Transportsektors sein. Bis 2050 werde er sich, gemessen an der Zahl der Passagiere, im Vergleich zu heute verdreifachen.

Das Verkehrswachstum wird nach Ansicht der OECD-Forscher erhebliche Auswirkungen auf die Emission des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) haben. Soll der Ausstoß von Klimagasen durch leichte Transportfahrzeuge nicht steigen, müssen deren Motoren ihren Treibstoff künftig doppelt so effizient nutzen wie bisher. Bis 2050 dürften Autos im weltweiten Durchschnitt nur noch 90 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Kernstrategie müsse die Optimierung des Brennstoffverbrauchs sein, zugleich müsse der Energiemix des Verkehrssektors verändert werden. Den Verkehr deutlich zu reduzieren, um die CO2-Emissionen zu senken, halten die Forscher aber für nicht machbar und für „wirtschaftlich nicht wünschenswert“.

Mehr Kostenwahrheit im Verkehrswesen – und eine Steuer auf Flugbenzin – forderte Bundespräsident Horst Köhler in Leipzig. Während die Bahn Stromsteuer bezahlen müsse, seien Kerosin und Schiffstreibstoff von der Steuer befreit. „Wäre es im Sinne der Gleichbehandlung der Verkehrsträger nicht gerecht, die Aussetzung der Energiesteuer für Kerosin und Schiffstreibstoff zu beenden?“, fragte der Bundespräsident. Das Thema solle möglichst international behandelt werden. Schon 1995 hat allerdings Angela Merkel (CDU), damals Bundesumweltministerin, die Besteuerung von Kerosin gefordert – doch passiert ist bis heute nichts.

Die tatsächlichen Kosten des Verkehrs würden derzeit kaum berücksichtigt, kritisierte Köhler. Wer Menschen oder Waren befördere, zahle heute Treibstoff, Personal und Verkehrsträger. „Er zahlt aber wenig bis gar nichts für Luftverschmutzung, Lärmbelästigung, Gesundheitskosten, Umwelt- und Klimaschäden.“ Deswegen sei es derzeit auch billiger, Krabben aus der Nordsee nicht an der Nordsee, sondern in Marokko pulen zu lassen und anschließend in Deutschland zu verkaufen.

Die Schienenlobby begrüßte die Analyse von Köhler. Leider handele die Bundesregierung nicht entsprechend, kritisierte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. So habe der Logistikbeauftragte der Regierung, Andreas Scheuer (CSU), bei der Neuausrichtung des Masterplans Güterverkehr und Logistik den ganzen Themenblock Kostenwahrheit von der Agenda genommen. Die Bundesregierung müsse Verkehrspolitik aktiv gestalten und sich vom Denken nach dem Motto verabschieden: „Wenn der Verkehr wächst, müssen wir mehr Straßen und größere Lkws bauen.“