: Butterfahrt auf zwei Rädern
Mit der Ruhe auf der Radtour ist’s vorbei. Immer häufiger wird der Reisende genötigt, anzuhalten, zweifelhafte Sehenswürdigkeiten zu besuchen und ein paar Euro zurückzulassen. Zum Radeln ist vor lauter Erlebnis kaum noch Zeit
Wenn Deutschland irgendwo weltmeisterlich ist, dann in der Vermarktung seiner Radfernwege. Mehr als 200 dieser radtouristischen Strecken soll es geben, und die Kataloge, Flyer und Websites, die ihre Schönheiten besingen, sind nicht zu zählen. Eine Route schöner als die andere? Tatsächlich findet der ratsuchende Radler in den einschlägigen Pedalpublikationen kaum noch Infos, die über die Aufzählung von Burgen, Schlössern und Spaßbädern hinausgehen. Und wenn die Landkreise oder Regionen sich selbst darstellen, ist über Streckenbeschaffenheit oder Witterungsverhältnisse sowieso nichts zu erfahren. Dafür bekommt man das Gefühl, der Fahrradtourist, eine angeblich kaufkräftige Spezies, soll vor allem gemolken werden: Runter vom Rad und konsumieren.
Wer artig den Tipps der einschlägigen Fahrradbroschüren folgt, dürfte kaum noch zum Radfahren kommen. Beispiel gefällig? Entlang der Werra und Weser gibt’s viel zu gucken, preist der Tourenplaner. Überall lauert ein Weltkulturerbe oder irgendetwas, das es bestimmt mal werden wird. Also absteigen, tausendjährigen Löwenzahn gucken und nebenbei noch ein 48-teiliges Keramikset („Echt Bunzlauer“) zum Schnäppchenpreis erstehen. Irgendwann schleicht sich das Gefühl ein, Teil einer Butterfahrt auf zwei Rädern zu sein. Und auf solchen Veranstaltungen dürfen gnadenloser Humor und bewegende Kunst natürlich nicht fehlen.
So hat sich das Uslarer Land ein Logo in Form einer Comic-Kartoffel zugelegt. Impertinent weist das imbezile Knollenmännchen auf interaktive Wasserspiele hin, die man unbedingt erlebt haben muss. Im deutsch- niederländischen Grenzgebiet hingegen ist eine Fahrradroute entstanden, die sich der Symbiose von Radfahren und Kunst verschrieben hat. Auf 132 Kilometern finden sich rund 60, na ja, Kunstwerke. Oder das, was der VHS-Kurs sonst so hergegeben hat. „Kunst“, so der Originaltext, „ruft unterschiedliche Gefühle und Empfindungen hervor“. So viele Gefühle, so starke Empfindungen.
Grundsätzlich gilt: Je prominenter das Revier, desto penetranter die Vermarktung. Nehmen wir die Chiemgauer Alpen und das Salzburger Land. Dort würde allein schon das Bergpanorama ausreichen, um den Radtourist in Hochstimmung zu bringen. Wenn man ihn nur lassen würde. Aber auch ihm wird nahe gelegt, doch bitte schön des Meisters Spuren zu folgen. Gerade heuer ist doch Mozartjahr. Ob Wohn- und Geburtshaus, Kloster Seeon oder diverse Kirchen: All das hat man auf dem 450 Kilometer langen Mozart-Rundkurs dem Radtouristen unausweichlich in den Weg gelegt.
Apropos Kirche. Nachdem die mittelalterlichen Gemäuer und auch die so genannten Industriekathedralen mit Hilfe von Fahrradthemenrouten schon ausgiebig verramscht worden sind, wird jetzt verstärkt auf Gottes Wegen geradelt. Auf den alten Pilgerrouten, von dem einen Kreuz zum anderen. Da gibt’s nur noch eins: beten.
Dabei kann das Radfahren doch auch schon zur Kontemplation führen. Einfach nur in die Pedale treten, Landschaft vorbeiziehen, Sehenswürdigkeiten aber links liegen lassen. Und wenn man aufgefordert wird, in einem Freilichtmuseum oder in einer romantischen Wassermühle – jeweils mit Restaurationsbetrieb, versteht sich – die Seele baumeln zu lassen, kann man ja auch mal einen Umweg in Kauf nehmen. CLAUDIA SCHALLENBERG