„Kommt mit! Fasst an!“

RÜCKBLICK Arbeit, Konsum, Freizeit, Urlaub – das sind die Schauplätze der neuen Schau „Alltag in der DDR“ in der Kulturbrauerei

VON ISABEL FANNRICH-LAUTENSCHLÄGER

Gegensätze haben das Leben der Menschen in der DDR geprägt. Eine banale Aussage, könnte man denken. Doch sie bringt den „Alltag in der DDR“, wie eine neue Dauerausstellung in der Kulturbrauerei heißt, auf den Punkt: Weil die Ostdeutschen tagtäglich mit dem Herrschaftsanspruch der SED konfrontiert wurden, arrangierten sie sich mit den Bedingungen einer „Diktatur nach sowjetischem Vorbild“ – taten dies aber auf sehr unterschiedliche und individuelle Weise.

In bisherigen Ausstellungen über den Arbeiter- und Bauernstaat ist dieser Aspekt bisher unterbelichtet geblieben. Das privat finanzierte „ddr museum“ an der Spree gegenüber dem Berliner Dom etwa trennt die Alltags- und Herrschaftswelten räumlich und inhaltlich voneinander. Einen anderen Schwerpunkt setzt das „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“, mehr als 100 Kilometer südöstlich von Berlin in Eisenhüttenstadt. Bildung und Ausbildung, Arbeiten und Wohnen, Hochzeit und Konsum sind auch hier Thema. Die Exponate wie Kinderbücher, der staatliche Kredit bei Eheschließung oder die Propagandasprüche in der Betriebskantine spiegeln aber eindrucksvoll, wie Partei und Staat selbst die kleinsten Verrichtungen des täglichen Lebens zu beeinflussen versuchten. Jedoch zeigt das Museum die individuelle Antwort hierauf nicht.

Deshalb macht die dritte große Schau über den Alltag in der DDR Sinn. Rücken doch die Kuratoren der „Stiftung Haus der Geschichte“ als Erstes in ganzer Bandbreite in den Mittelpunkt, wie unterschiedlich die Bevölkerung sich verhalten hat. Zwar ist nicht neu, dass nur eine Minderheit die SED überzeugt unterstützt hat, die Mehrheit sich anpasste und Verweigerer, Andersdenkende und Oppositionelle überwacht und verfolgt wurden. Diesen dezidierten Blick aber verknüpft die Ausstellung – und darin liegt ihre Stärke – eng mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den staatlich durchdrungenen Lebensbereichen Arbeit, Konsum, Freizeit und Urlaub. Sie erreicht das mit szenischen Collagen. Im ehemaligen Pferdestall der Kulturbrauerei läuft man etwa an einem Trabi mit Zeltdach vorbei, durch das Büro eines Abschnittsbevollmächtigten hin zu einem HO-Laden. Diese Szenen werden mit Infotafeln, Stasi-Dokumenten und kurzen Amateur- oder DDR-Propagandafilmen ergänzt und dokumentieren so die ständige Präsenz von Partei und Ideologie.

Kollektive prägen Bilder

Gelungen ist vor allem der zweite große Ausstellungsteil. Zeigt dieser Raum doch das Leben im Kollektiv am Beispiel der Arbeitswelt und nähert sich ihm mit vielen Beispielen und von vielen Seiten. Die staatliche Parole „Kommt mit! Fasst an! Geht alle ran! Dann schaffen wir den Fünfjahresplan!“ erfasste den Großteil der arbeitenden Bevölkerung. Was wer wann produzieren sollte, regelten die Betriebsführung und Gewerkschaften im Kollektivvertrag. Um diesen zu erfüllen, unterlag der Einzelne mitsamt seinem Kollektiv oder der Brigade einem permanenten Wettbewerb um das schönste Betriebstagebuch, die beste Betriebssportgruppe, die fleißigste Jugendbrigade.

Wer beim Uranerzabbau der Wismut den Plan erfüllte, verdiente sich Schnapsmarken. Jedes Jahr wurden 50 „Helden der Arbeit“ ausgewählt. Die Fülle der Exponate spiegelt, so der Subtext, die massenhafte Beteiligung am zentral gesteuerten „sozialistischen Wettbewerb“.

Zusammenhalt schätzen

Viele, auch das ist eine klare Einordnung, schätzten trotz der erschwerten Produktion in einer Mangelwirtschaft den starken sozialen Zusammenhalt in ihrer Arbeitswelt. Sie meldeten sich für die Betriebskampfgruppen, ließen vom VEB für sich und ihre Familie den Kino- und Theaterbesuch organisieren oder fuhren begeistert ins Betriebsferienheim. Die Andersdenkenden aber kratzten – und kratzen weiterhin – an diesem Bild: ein Lehrling, der gegen die Inhalte seiner Ausbildung protestiert, oder ein junger Mann, der „frei sein“ will und einen Ausreiseantrag gestellt hat. Nun findet er Arbeit nur noch bei der Kirche und schaufelt Gräber auf dem Friedhof.

Dennoch bleiben am Ende viele Fragen offen, inwiefern es in der DDR möglich war, sich zu entziehen, Kritik zu üben, zu „stören“ und welche Konsequenzen das hatte. Wie reagierten die Kollegen, wenn jemand sich dem Betriebstagebuch oder der Betriebssportgruppe verweigerte? Fand der kritische Lehrling anschließend den gewünschten Arbeitsplatz? Dem Raum, der die Mangelwirtschaft und den versuchten Rückzug ins Private zeigt, hätte ein Weniger an Exponaten und Themen gut getan. Denn dass das Leben „viel bunter war, als es dem Klischee von der uniformen, grauen DDR entspricht“, ist zwar banal, lässt sich aber an einzelnen biografischen Beispielen zeigen.

■ „Alltag in der DDR“, Museum in der Kulturbrauerei, Knaack- straße 97, Di.–So. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr