: Fürsorge ist kein Argument
DAS CAMP MUSS BLEIBEN
Viel Schelte hat Monika Herrmann kassiert: Die Flüchtlinge waren entsetzt, dass die Bezirksbürgermeisterin nach Monaten der Unterstützung auf einmal den Abriss des Oranienplatz-Camps forderte – und die Gegenseite kritisiert, dass sie genau das wieder abgeblasen hat.
Dabei spricht vieles dafür, dass das Camp bleiben muss: als politisches Mahnmal, wie es Herrmann selbst einmal bezeichnet hat, als Pfahl im Fleisch, der uns jeden Tag an die verbrecherische deutsche Flüchtlingspolitik erinnert, die wir durch unser Nichtstun tolerieren.
Die Befürworter der Räumung argumentieren entweder ordnungspolitisch oder fürsorglich. Ersteres ist die klassische CDU-Linie: Recht und Gesetz müssen wiederhergestellt werden. Die Flüchtlinge vom Camp beanspruchen eine Extrawurst, was nicht toleriert werden kann. Also zack, weg damit.
Dieses Argument sieht von den kritisierten Inhalten des geltenden Asylrechts völlig ab. Aber warum sollte man sich beim Protestieren an eine Vorschriften wie die Residenzpflicht halten, wenn sich der Protest genau dagegen richtet? Zumal wenn man niemandem damit schadet – außer sich selbst.
Damit kommt das andere Argument ins Spiel: Fürsorglich wird erklärt, das Zelten sei gesundheitsgefährdend, einen zweiten Campwinter könne man nicht verantworten.
Aber haben nicht wir in erster Linie die Politik zu verantworten, die anderswo Hunger und Krieg mitverursacht und die davon Betroffenen von Europa fernhalten will? Und ist es nicht Sache derer, zu entscheiden, ob sie Frostbeulen oder Lungenentzündung in Kauf nehmen wollen, um diese Politik zu verändern? Wenn es nach geltendem Recht geht, werden wohl viele irgendwann abgeschoben – in Krieg und Not.
Dass grüne und liberale Menschen an die Flüchtlinge appellieren, es doch bitte nicht zu doll zu treiben mit dem Protest, zeigt, wie stark sich Lebenswirklichkeiten auf das politische Verständnis auswirken. Aus ihrer Saturiertheit heraus würden die Fürsorgler es natürlich lieber sehen, der Protest bliebe geordnet.
Für Menschen, die um ihr Leben kämpfen, ist es legitim, damit zu „spielen“. Wer ihnen wohlgesinnt ist, sollte sie nicht als Spielverderber betrachten – sondern mit ihnen um neue Spielregeln kämpfen. SUSANNE MEMARNIA