der geist von genf (6) : Back-ups und Glieder
Es wird ernst: Deutschland ist zurück in der Heimat
Der Geist von Genf ist verschieden. Niemandem in der Stadt ist das aufgefallen. Genf hat sich nicht für die deutsche Nationalmannschaft interessiert. Die lokale Zeitung Journal de Geneve berichtete nur knapp über „les Allemagnes“; einen Aufmacher über den ehemaligen Servette-Profi und gebürtigen Schweizer Oliver Neuville wurde gedruckt, ansonsten war nicht viel drin im Blatt. Die Tage am Genfer See verbrachte die DFB-Auswahl im stillen Exil. Hier wurde sie nicht behelligt, ja selbst in der Altstadt konnten die Spieler flanieren, ohne angesprochen zu werden oder größere Aufläufe zu verursachen. Ruhiger hätten sie es nicht haben können.
Nun hat die Mannschaft den Südwesten der Schweiz verlassen und ist nach Düsseldorf gereist, nach Deutschland, ins Epizentrum einer aufkeimenden Fußballhysterie. Nichts mehr wird sein, wie es in Genf war. Das Gastgeberland will sich seiner Helden bemächtigen. Die Identifikationsmaschine läuft warm. Der Überdruss an einer aufdringlichen Fußballverwertung scheint dem Bekenntnis zur WM zu weichen. Mit der Rückreise beginnt für Klinsmanns Kicker endgültig die WM. Heute (20.30 Uhr, ARD) wird gegen Japan gespielt, sicherlich vor einer Deutschland-trunkenen Masse.
Japan ist der erste bessere Kontrahent. Nach diesem Spiel wird man mehr wissen über den Zustand der Mannschaft, die Flexibilität der Viererkette und das „vertikale“ Passspiel der Mittelfeldakteure in die Spitze. Jürgen Klinsmann sollte den Charakter dieses Spiels ernst nehmen – und testen. Wenn Michael Ballack nach seiner Knöchelverletzung einsatzfähig ist, sollte Tim Borowski neben dem Kapitän spielen. Borowskis Formanstieg wird von diversen Blättern hymnisch gefeiert. So mancher Journalist hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Profi des SV Werder Bremen ins Team zu schreiben. Aber warum auch nicht?
Borowski und Ballack schließen sich nicht aus, sie können sich durchaus ergänzen. Borowski kann passabel „steil“ spielen, wie es von den Trainern in einem fort verlangt wird. Er kann stramm aus der Distanz schießen und ist kein schlechter Kopfballspieler. Sein Einsatz wäre allerdings wahrscheinlicher, wenn Klinsmann Bernd Schneider in die Abwehr beordert – auf die rechte Position in der Viererkette. Hier hat bislang der Herthaner Arne Friedrich Dienst getan, mehr schlecht als recht.
Klinsmann stützt Friedrich, indem er sagt, der Mann sei überlastet. Es gebe für ihn keinen Ersatz, der ihm Arbeit abnehmen könne. Friedrich hätte keinen Back-up. Der Berliner hat sich nicht aufgedrängt, im Gegenteil, er scheint sich mehr und mehr aus dem Team zu spielen. Das Team fände das wohl nicht weiter schlimm. In Genf hat Michael Ballack den Herthaner nach einem Fehlpass angeraunzt: „Mensch, du Blödi.“ Jedenfalls beschwören das einige Zaungäste. Fakt ist, dass die rechte Seite Schwächen zeigt. Schneider könnte zum Friedrich-Back-up werden.
Spekuliert werden darf auch über das Rollenspiel in der Innenverteidigung. Christoph Metzelder und Robert Huth sind augenscheinlich Klinsmanns Favoriten. Per Mertesacker ist auch im Rennen. Jens Nowotny allerdings kann wohl nur mit sporadischen Einsätzen rechnen. Die Innenverteidiger hatten in Genf ein hartes Programm, an der Viererkette wurde gezerrt und geschweißt, ihre Belastbarkeit erprobt und die Glieder verstärkt. Genf war so etwas wie ein Abwehrtrainingslager. Erst in dieser Woche werden Standardsituationen geübt, ein weiterer Kernbereich des modernen Fußballspiels. Die Fitness sei ohnehin sehr gut, berichten die Fitmacher. Und Torsten Frings ergänzt: „Ich bin 1.000-prozentig sicher, dass wir topfit in die WM gehen.“ An den Laktatwerten wird es nicht scheitern.
MARKUS VÖLKER