: Apo der Läden
In Hannover proben Einzelhändler bürgerlichen Ungehorsam: Sie öffnen ihre Läden trotz Verbots nach 20 Uhr und kassieren Bußgeldbescheide
von KAI SCHÖNEBERG
„Ich kann die Zugansagen hören, ich kann die Leute oben laufen sehen“ – nur ihren Laden für „Wohnaccessoires“ darf Rita Meininger nicht so lange öffnen wie die Kollegen ein Stockwerk höher. „Habitare“ heißt er und liegt in der frisch renovierten „Niki de Saint Phalle-Promenade“, einer Einkaufspassage im Untergeschoss des Bahnhofs von Hannover. Dort tobt derzeit ein bizarrer Krach zwischen Kaufleuten und Stadtverwaltung: Während die Händler oben werktags bis 23 Uhr öffnen, ist das in der Ladenzeile ein Stockwerk tiefer verboten. Argumentation der Stadt: Die gut 30 Geschäfte im Bahnhofskeller gehörten nicht zum Bahnhof, sie wären nur „Verkaufsstellen in einer Umsteigeanlage“ zur U-Bahn. Nur das Land könne „Sonderöffnungszeiten“ zulassen. „Von dieser Ermächtigung wurde bisher kein Gebrauch gemacht.“ Zudem will die Stadt die Föderalismusreform abwarten: Wenn der Bund die Öffnungszeiten freigibt, können die Länder frei entscheiden. Das FDP-regierte niedersächsische Wirtschaftsministerium hat trotz Protesten von Gewerkschaften und Kirchen längst angekündigt, nur die Sonntagsruhe vorschreiben zu wollen. Aber noch ist das Zukunftsmusik.
Mittlerweile hat sich eine Händlerfront gebildet, die sich einfach nicht mehr an die Gesetze hält. Der Drogeriemarkt Rossmann und der Discounter Lidl öffnen trotz Verbots werktags bis 22.30 Uhr und sonntags von elf bis 17 Uhr, drei kleinere Läden wie „Habitare“ wagten den kalkulierten Rechtsbruch bereits an einem Sonntag. „Wir ziehen mit Rossmann mit“, sagt ein Mitarbeiter der am Montag eröffneten Lidl-Filiale. „Wir wollen hier eine Lanze brechen. Und wir wollen mit ‚Ihr Platz’ ein Stockwerk höher gleichziehen“, sagt Rossmann-Sprecher Edzard Schönrock. Dafür hat die Einzelhandels-Apo auch schon einen Bußgeldbescheid in Höhe von 500 Euro kassiert. Die Stadt Hannover zeige sich bislang „nicht sehr kooperativ“, sagt Schönrock. „Uns wurde sogar die Schließung angedroht.“ Dagegen habe Hamburg sogar lange Öffnungszeiten für eine Filiale angeboten, die 600 Meter vom Bahnhof entfernt liegt. In der Passage unter dem Leipziger Bahnhof gelten bereits seit Jahren lockere Öffnungszeiten für alle Läden.
„Eine halbe Stunde nach der Öffnung war ein Mann vom Gewerbeaufsichtsamt hier“, sagt Rita Meininger von „Habitare“. Eine Bußgeldandrohung in Höhe von 500 Euro ist ihr auch schon in den Laden geflattert. „Sie rechnen uns nicht zum Bahnhof dazu – dabei verkaufen wir im Grunde auch nichts anderes als Nanunana oder Tchibo oben“, so Meininger. Mit anderen Ladenbesitzern hat sie sich an die Stadt gewandt und überlegt, ob sie nicht Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) bei der offiziellen Eröffnung der Passage am Wochenende auf das Problem anspricht. Das Thema ist für den zuständigen Ordnungsdezernenten Stephan Weil (SPD) einigermaßen heikel. Immerhin will er bei der Kommunalwahl im September Schmalstiegs Nachfolger werden.
„Das Geschäft läuft nach 20 Uhr prima, wir hatten an einigen Tagen bis zu 8.500 Kunden“, sagt Rossmann-Bezirksleiterin Ilona Schenk. Am Eingang der delinquenten Rossmann-Filiale macht ein Schild auf eine weitere rechtliche Grauzone aufmerksam. Dort heißt es, dass „außerhalb der gesetzlichen Öffnungszeiten (nach 20 Uhr) nur Reiseartikel“ verkauft werden dürften. „Bei uns ist alles Reisebedarf, egal ob Hundefutter oder Körperpflege“, meint dazu eine Verkäuferin. „Große Mengen Waschpulver kauft eh keiner nach 20 Uhr.“