berliner szenen WM der Baustellen

Abschalten können

Wrrooomm! Wie jeden Morgen dröhnt der umgeleitete Berufsverkehr durch die Wohnstraßen der Schöneberger „Roten Insel“. Die aufgehende Sonne sieht nicht nur aus wie eine Mischmaschine, sie mischt ihre Strahlen in eine Luft voller Kalkschwaden. Auf dem Weg zum Edeka-Markt sehe ich an Haustüren Zettel mit dem behelmten Bahn-Maulwurf flattern, die von den letzten Nachtbauarbeiten künden. Tschuldijung, aber bis zur WM muss der Bahnhof Südkreuz eben fertig werden!

Von unserem Balkon blickt man tatsächlich auch schon auf einen beachtlichen Betonklotz und sehr viel Glas. Anfangs haben wir ein paar Mal den angebotenen „Ersatzschlafraum“ in einem Ein-Sterne-Hotel am Potsdamer Platz für uns wahrgenommen. In den letzten Wochen waren wir doch lieber zu Gast bei Freunden.

Ratatatatata! Während ich mir auf dem Weg zum Einkauf die Ohren zuhalte, stapft ein blaues Männchen mit oranger Signaljacke unter den skeptischen Blicken des Ladenbesitzers durch die Tür des Nah-&-Gut-Marktes. Sandige Stiefelspuren führen bis zur Brot-, Fleisch- und Käsetheke. „Vier und vier, wie imma?“, fragt dort gerade die Dame im weißen Kittel, und der Bauarbeiter fragt: „Watt!?“ – „Vier mal mit Bierschinken, viermal mit Ei, wie imma!“, brüllt die Dame jetzt fast schon und gestikuliert mit den Händen zwischen Schrippen und Belägen hin und her. „Hä!“ Der Mann in der Signaljacke greift an seine Ohren und schaltet an zwei fiependen Plastikapparaten herum. Die Hörgeräte waren wohl offline, aber jetzt versteht er endlich was – es geht voran. Zurück auf der Straße fängt das Papier meiner Schrippentüte an, im Takt des Presslufthammers zu vibrieren. Einfach mal abschalten können, das wär's! ANSGAR WARNER