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Archiv-Artikel

Die Bauernfänger

ACKERN Mit virtuellem Landleben und zuckersüßer Grafik ist das Onlinespiel „Farmville“ zum Massenphänomen geworden. Und zum Riesengeschäft

Bei Farmville gibt es mehr Bauernhöfe als in ganz Amerika: über 80 Millionen

VON CHRISTOPH GURK

Auf Franzis Bauernhof steht eine kleine Villa. Daneben, auf quadratischen Feldern, blühen Blumen. Schafe mit Kulleraugen grasen friedlich auf einer Wiese. Franzi kommt jeden Tag hierher, in der quietschbunten Farm steckt viel Arbeit. Die 27-Jährige muss düngen, sähen und ernten, manchmal viermal am Tag. Zum Glück ist es nicht weit bis zu ihrem Hof – ein paar Klicks und ein Passwort genügen.

So wie Franzi Binder verwandeln sich im Internet Millionen Menschen jeden Tag in begeisterte Hobbybauern. Bei Farmville, einem Onlinespiel, pflegen sie virtuelles Gemüse und schmücken ihre Höfe mit Zierbrunnen und Gartenzwergen. Während die Weltwirtschaft in einer der schwersten Krisen seit Jahrzehnten steckt, ist so im Netz eine gigantische Schrebergartenkolonie entstanden, eine heile Welt im World Wide Web.

Level 1: Feldhelfer

Letzten Sommer ging Farmville online, seitdem registrieren sich jeden Monat tausende neuer Hobbyfarmer. Jeder bekommt am Anfang ein Stück Land, das er bewirtschaften muss. Mittlerweile gibt es im Netz mehr Bauernhöfe als in ganz Amerika, über 80 Millionen Menschen pflügen, sähen und ernten online. Farmville ist eine Massenbewegung, die Stadtflucht 2.0 – und vermutlich auch die Zukunft der Spielebranche.

Franzi hat ihren Bauernhof seit Oktober letzten Jahres. „Am Anfang habe ich den ganzen Tag in Farmville gehangen“, erzählt sie. Sie wollte schnell vorwärtskommen, viel anbauen, viel ernten. Dafür bekommt man Geld und Punkte, so kann man sich wieder neue Samen und Gegenstände kaufen, außerdem rückt man langsam in den Levels nach oben.

Heute hat Franzi einen gigantischen Hof, dafür hat sie monatelang geackert, vor allem aber hat sie genügend Menschen gefunden, die gerne neben ihr wohnen wollen, virtuell gesehen. Denn um als Bauer voranzukommen, muss man sich bei Farmville Nachbarn suchen – meistens sind das die Freunde aus den Onlinenetzwerken. Wer expandieren will, muss seine Kumpel also zum Mitmachen animieren, das Spiel setzt sich so immer weiter fort, wie ein gigantischer Kettenbrief.

Level 20: Grüner Gigant

Weil man sie in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Myspace spielt, heißen Spiele wie Farmville „Social Games“. Wer keinen Bauernhof will, kann sich einer Mafia-Familie anschließen oder virtuell Aquarien pflegen, es gibt hunderte solcher Social Games – und Millionen potenzieller Spieler. Denn jeder Teenager, der etwas auf sich hält, ist heute Mitglied bei mindestens einem Netzwerk, allein Facebook hat nach eigenen Angaben über 400 Millionen aktive Nutzer. Eine gigantische und zahlungskräftige Zielgruppe, die Firmen wie Farmville-Betreiber Zynga nun erstmals anzapfen. Mit Erfolg: Die New York Times schätzt, dass der Umsatz des Unternehmens 2009 bei rund 250 Millionen Dollar lag.

In der ansonsten kränkelnden Computerspielebranche hat das ein Erdbeben ausgelöst. Alteingesessene Hersteller wie EA Games kaufen auf einmal Social-Games-Firmen, obwohl sie noch im letzten Jahr deren Geschäftspraktiken misstrauisch beäugten. „Geld kaufen geht mir gegen den Strich“, sagt Franzi. Den Hof, die Tiere, die Gartenzwerge – bis jetzt hat die 27-Jährige sich alles selbst verdient. Wer es schneller oder komfortabler will, der kann sich für echte Dollar oder Euros Farmville-Geld kaufen, sogenanntes FarmCash. Meistens sind das kleine Beträge, aber bei über 230 Millionen registrierten Nutzern in allen Spielen von Zynga kommt einiges zusammen.

Level 46: Brillanter Farmer

Darüber hinaus lassen sich Betreiber einiges einfallen, um aus den fast immer kostenlosen Spielen Geld zu schlagen. Wer einen Hof bei Farmville haben will, muss Zynga erlauben, auf seine Daten zuzugreifen, die die Firma für gezielte Werbung nutzt. Außerdem bietet Farmville den Nutzern FarmCash an, wenn sie kostenpflichtige Abos, etwa bei Weight Watchers, abschließen. Manchmal werden Kontos versehentlich belastet. Abzocke nennen das Kritiker, in den USA gab es deshalb bereits eine Klage gegen Facebook und Zynga.