: Der lange Weg zur Visafreiheit
VERHANDLUNGEN Europas Grenzen auf für Türken? Gleich nach der gefeierten Ankündigung bremsen EU-Politiker schon wieder
BRÜSSEL taz | Du hältst mir unerwünschte Flüchtlinge vom Hals, dafür gebe ich deinen Leuten mehr Visa zur Einreise nach Europa. Das ist das Prinzip, nach dem die EU mit Drittländern über Visaerleichterungen verhandelt. Jahrelang sträubte sich die Türkei gegen einen solchen ziemlich unmoralischen Deal.
Doch nun haben sich Europäer und Türken geeinigt. Die Verhandlungen sollen bereits am Freitag in Ankara beginnen, teilten EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström und der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu in Brüssel mit. Wie bei solchen Anlässen üblich, wurde der Durchbruch überschwänglich gefeiert. „Das ist ein historischer Tag für die türkische Bevölkerung, die EU und den Prozess der türkischen Annäherung an die EU“, jubelte Davutoglu. „Das beweist den Einsatz der Türkei und Europas, bei diesen beiden wichtigen Themen voranzukommen“, sagte Malmström.
Doch die Einigung über Visaerleichterungen hat vor allem symbolische Bedeutung. In der Praxis ändert sich erst einmal wenig. Denn noch gibt es keinen Termin für die erleichterte Einreise. Davutoglu hofft zwar, dass es spätestens in dreieinhalb Jahren so weit sein wird – so lange dauern die Verhandlungen in der Regel. Doch Malmström wollte sich nicht festlegen. Es kann also auch noch länger dauern – vor allem, wenn die EU-Staaten auf der Bremse stehen. Bisher war es vor allem Deutschland, das EU-Land mit den meisten türkischen Einwanderern, das eine Öffnung der Grenzen verhinderte. Doch nun kommt auch aus Österreich Widerstand.
Mehr Visa könne es nur geben, wenn die Türkei sogenannte Smart Borders, also eine elektronische Überwachung ihrer Grenzen, einführt, sagte der sicherheitspolitische Sprecher der ÖVP im Europaparlament, Hubert Pirker. „Eine elektronische Kontrolle und Speicherung der Daten aller in die Union Einreisenden ist ein Muss“, so Pirker. „Ob es die Visaerleichterung geben wird, darüber entscheidet das Europäische Parlament“, betont der Abgeordnete.
Das ist zwar nicht ganz richtig. Erst einmal müssen alle 26 Schengen-Staaten zustimmen. Doch es zeigt, dass die EU in der Visapolitik mit gespaltener Zunge spricht. Die Leidtragenden sind zunächst einmal all jene Flüchtlinge aus Syrien, dem Libanon oder anderswo, die über die Türkei illegal nach Europa kommen. Denn sie müssen künftig „zurückgenommen“ – also in die Türkei abgeschoben – werden.
Der eigentliche „Gewinner“ des Deals sind deshalb nicht die Türken, sondern die Griechen, die bisher die meisten Flüchtlinge aufnahmen. Und selbst wenn es eines Tages zu den versprochenen Visaerleichterungen kommt, dann wird davon nicht der kleine Mann in Ankara profitieren. Zunächst soll die Lockerung nämlich nur für Geschäftsleute gelten. ERIC BONSE