Die große Luftnummer

„XAVER“ RAUSCHT DURCH

„Jetzt ist es ja schon vorbei.“ – „Das weiß man bei diesem ‚Xaver‘ nicht: Es sollen ja urplötzlich wieder Böen kommen – so war es angekündigt.“ – „Hm …“

Ein Dialog am Freitag gegen 14 Uhr. Da hatte der Orkan „Xaver“ die Stadt seit gut 20 Stunden im Griff. Oder besser gesagt: Die Warnungen vor „Xaver“ hatten dazu geführt, dass sich auch in Berlin ein Hauch von Endzeitstimmung breitmachte. Die Kinder mussten nicht zur Schule, Behörden rieten davon ab, unnötigerweise vor die Tür zu gehen, Weihnachtsmärkte und Bezirksämter wurden geschlossen, Pressekonferenzen abgesagt. Fehlte nur noch, dass Freiwillige aufgefordert worden wären, Deiche zu stabilisieren.

Tatsächlich war „Xaver“ eher eine große Luftnummer. Okay, der Weihnachtsbaum des Bundespräsidenten vor dem Schloss Bellevue kippte um, in Tegel wurden Flüge gestrichen, einige U- und S-Bahnen mussten kurzzeitig pausieren, die Feuerwehr konnte ihren ganzen Fuhrpark rausholen, in Wannsee wurden tatsächlich Böen mit mehr als 100 Stundenkilometern gemessen. Und selbst in der Innenstadt drängten Wind und Schnee Radler und Fußgänger immer wieder aus der Spur.

Tatsächlich fühlte man sich am Freitagnachmittag aber wie nach einem schlechten Horrorfilm: ziemlich enttäuscht. Weil meist nicht mal die Bäume wankten, die Frisur saß und selbst der Hauptbahnhof keinen Schaden nahm – anders als bei „Kyrill“, der 2007 dort einen tonnenschweren Stahlträger demontiert hatte.

Eigentlich sollten wir darüber glücklich sein. Aber in Zeiten, in denen selbst mögliche Naturkatastrophen via Onlineliveticker zu spannungsreichen Spektakeln aufgeblasen werden, ist das eine reichlich altbackene Einstellung. Wahrscheinlich ist die Berliner Lehre aus dem lauen Lüftchen, dass man sich bei künftigen Sturmereignissen in die richtige Gefahrenzone bringt – und rechtzeitig vorher einen Zug nach Sylt bucht. BERT SCHULZ