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Archiv-Artikel

Sexueller Fanatismus

FRAUENSTUDIUM Die Edition „Störfaktor F“ tritt für eine Institutionengeschichte der Wissenschaften mit Genderperspektive ein

Wer am vergangenen Freitag zu der Veranstaltung mit dem sperrigen Titel „Störgröße ,F‘. Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin – 1892 bis 1945“ den passenden Raum suchte, hatte es nicht leicht. Trotz der allgegenwärtigen Verweise auf das Rahmenprogramm zum 200. Geburtstag der Humboldt-Universität (HU), fehlte die übliche Wegbeschreibung.

Gleichwohl platzte der kleine Raum mit rund 70 Interessierten, die zur Präsentation der gleichnamigen „kommentierten Aktenedition“ gekommen waren, aus allen Nähten. Gabriele Jähnert vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der HU erklärt die Entstehung der Edition.

Bereits vor Jahren wurde damit begonnen, das gesamte Universitätsarchiv unter einem frauenspezifischen Blickwinkel zu erschließen. Die Geschichte des Frauenstudiums hatte in der Präsentation der Universität bis dato keine Rolle gespielt, weibliche Wissenschaftler blieben meist unbekannt. Erfasst wurden zum Beispiel Gutachten über die Zulassung von Frauen zum Studium, die Biografien einzelner Wissenschaftlerinnen, angenommene oder abgelehnte Habilitationen. Zehn Jahre später sind 91.000 Datensätze frei zugänglich und ausgewählte Dokumente wissenschaftlich aufgearbeitet in der Edition „Störfaktor ,F‘“ zu finden.

Im ersten Teil der Edition wird die Debatte von der Zulassung von Gasthörerinnen bis hin zu außerordentlichen Professorinnen nachgezeichnet. Die zitierten Gutachten namhafter Professoren zeigen, dass man sich hierbei für kein Argument zu schade war. Die Mitarbeiterinnen tragen Leseproben vor.

Besonders perfide ist der Fall Dr. Mathilde Vaertings, die 1919 mit ihrer Arbeit zur „Psychologie der Geschlechter“ einen Habilitationsantrag stellte. Er wurde einstimmig abgelehnt. Im Negativgutachten von Professor Friedrich Carl Stumpf wird Vaerting mit Verweis auf ihr Geschlecht die wissenschaftliche Kompetenz abgesprochen. Ihr Ansinnen wird lächerlich gemacht. Anderen reicht ein Verweis auf den „sexuellen Fanatismus der Bewerberin“, um abzulehnen. Die Vehemenz macht deutlich wie sehr Frauen – zumal mit geschlechterpolitischen Themen beschäftigt – dem Wissenschaftsbetrieb als Störgröße galten.

Im zweiten Teil geht es um die Auswirkungen der NS-Politik, die Positionierungen von Wissenschaftlerinnen und darum, dass „angepasste Frauen“ ausnahmsweise von der Entlassung jüdischer Kollegen profitieren konnten. Die folgende Diskussion wird mit einer grundsätzlichen Frage eingeleitet: Ist eine homogenisierende Frauengeschichte heute überhaupt noch vertretbar? Immerhin deklarierte Francois Lyotard schon vor dreißig Jahren das Ende der großen Erzählungen. Jähnert plädierte dafür, die Edition als „Korrektiv für eine Historiografie ohne Genderperspektive“ zu verstehen, die eine Relektüre bekannter Dokumente ermögliche.

Ein aktuelles Beispiel dafür, dass Geschlecht eine vernachlässigte aber wirkmächtige Kategorie der Historiografie ist, brachte die Professorin Eveline Kilian. Zum 200. Jubiläum der HU erscheine die mehrbändige Universitätsgeschichte im namhaften Akademie Verlag, während die Edition auf eine „günstigere“ Alternative ausweichen musste. Auch von der geplanten gemeinsamen Buchvorstellung sei man, so Kilian, von der HU kurzfristig ausgeladen worden, sodass die Geschichte des Frauenstudiums wiederum „als kleine Schwester vom großen Bruder“ erscheine.

Sie hoffe, dass die Edition nicht den genretypischen Staub transportiere, „sondern eher etwas Staub aufwirbelt, der sich auf scheinbar gesichertem Wissen abgelagert hat“, schloss Jähnert die Veranstaltung. Der offiziellen Erinnerungsreihe der HU wäre das allemal zu wünschen. SONJA VOGEL