: „Spiele im Hochsicherheitstrakt“
INTERVIEW MAURITIUS MUCH
taz: Herr Hirsch, finden Sie das deutsche Sicherheitskonzept zur WM weltmeisterlich?
Burkhard Hirsch: Bei einem derartigen Event spielt die Sicherheit natürlich eine große Rolle. Aber wenn man Fußballspiele im Hochsicherheitstrakt abhalten will, dann ändert sich der Charakter solcher fröhlichen Feste, die nicht eine Parade der Sicherheitsmöglichkeiten sein sollen.
Was macht die WM denn zum Hochsicherheitstrakt?
Wenn man hört, dass die Bundeswehr alarmiert werden soll und mit vielen tausend Soldaten im Inland eingesetzt werden soll, wenn über dem deutschen Luftraum Awacs-Überwachungsflugzeuge der Nato kreisen, dann sind all das Vorgänge, die einer freien Gesellschaft nicht entsprechen und die man nicht akzeptieren kann. Man hat den Eindruck, dass die WM genutzt wird, um unter Beschwörung der Sicherheit nun alles Mögliche zu etablieren, was die Gesellschaft unter normalen Umständen nie akzeptieren würde.
Zum Beispiel?
Umfangreiche Grenz- und Personenkontrollen, eine Videoüberwachungsinflation, die Speicherung der DNA-Dateien so genannter Hooligans auf Vorrat, das mobile Scannen von Kfz-Kennzeichen. Es ist eine Gelegenheit, die ganze Wunderwelt auszubauen in der Erwartung, dass der Bürger wegen dieses Ausnahmezustands WM das akzeptiert. Nur wenn die Maßnahmen einmal eingeführt worden sind, dann habe ich noch niemals gehört, dass sie hinterher wieder abgeschafft wurden.
Man hat den Eindruck, dass das die Bevölkerung auch nicht sonderlich stört.
Ich denke, viele Bürger haben das Gefühl, diese Maßnahmen würden sie nicht treffen. Sie können sich nicht vorstellen, dass es umfangreiche Dateien gibt, in denen nicht nur Straftäter erfasst sind, sondern auch Leute, von denen die Polizei meint, sie könnten vielleicht in Zukunft eine Straftat begehen. Aber der normale Bürger hat das Gefühl: Ich werde davon nicht berührt. Er will für sich selbst mehr Sicherheit und sie mit der Freiheit der anderen bezahlen. Das ist politische Zechprellerei.
Vor dreißig Jahren waren Sie Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Waren denn die Bürger damals schon bereit, zugunsten der Sicherheit auf Bürgerrechte zu verzichten?
Die Neigung dazu war immer da. Aber der 11. September hat sie noch verstärkt. Man kann sich ja nur schwer dem Eindruck dieser Flugzeuge entziehen, die in das World Trade Center hineingeflogen wurden. Es war das erste Mal, dass man Terroranschläge live und beliebig oft im Fernsehen sehen konnte.
Glauben Sie, dass die Sicherheitsbehörden die Gefahr eines terroristischen Anschlags während der WM aufbauschen, um überzogene Sicherheitsmaßnahmen zu rechtfertigen?
Davon bin ich überzeugt. Ich halte die Sicherheitsmaßnahmen für wirklich übertrieben. Ich halte Ausschreitungen von Hooligans für denkbar, aber ich schätze die Wahrscheinlichkeit eines islamistischen Terroranschlages als sehr gering ein.
Die Behörden befürchten besonders, dass Hooligans an den Großbildleinwänden Krawalle machen. Deshalb will man Videoüberwachung installieren. Ist das ein Allheilmittel?
Nein, Videoüberwachungen führen nicht dazu, eine Straftat zu verhindern. Der Täter, der eine Straftat begehen will, weiß, dass es Videoüberwachung gibt. Also begeht er sie woanders.
Berlins Innensenator Körting setzt private Sicherheitsdienste ein, um das große Fan-Fest mit Video zu überwachen. Im Gegensatz zur Berliner Polizei dürfen die privaten Dienste die Daten speichern und nicht nur bei konkreten Gefahren aufzeichnen. Ist das nicht auch ein Eingriff in die Bürgerrechte?
Ich kenne dieses Detail des Berliner Polizeigesetzes nicht. Aber eines ist klar: Wenn man private Dienste einsetzt, dann dürfen sie natürlich keine größeren Befugnisse haben als die Polizei.
Um WM-Tickets zu bekommen, musste man persönliche Daten und auch die Personalausweisnummer angeben. Was halten Sie davon?
Wer sich eine Eintrittskarte kauft, der lässt sich ja darauf ein. Es ist dann für den Einzelnen interessant zu wissen, was mit seinem Namen und seiner Adresse passiert. Werden sie gesammelt und für die Werbewirtschaft verwendet? Wenn die Leute damit einverstanden sind, dann habe ich nichts dagegen.
Was stört Sie dann?
Ich bin entschieden gegen die Sicherheitsüberprüfungen. Nehmen Sie die Mitarbeiter von Firmen in den WM-Stadien. 250.000 Leute, die die Stühle abwischen, den Rasen in Ordnung halten, Eis verkaufen. Verfassungsschutz und Polizei überprüfen jeden Einzelnen, nicht etwa nur im normalen Bundeszentralregister, in dem Straftaten gespeichert sind, sondern auch in diesen ganzen herrlichen Verdachtsdateien unter dem Motto der Freiwilligkeit. Nur wenn einer sagt, ich bin damit nicht einverstanden, dann fliegt er bei seinem Arbeitgeber sofort raus.
Während der WM wird es Personen geben, die Meldeauflagen bekommen oder ihr Haus nicht verlassen dürfen, bloß weil der Verdacht besteht, dass sie Krawall machen könnten. Was kann man dagegen tun?
Da muss der Einzelne sich dagegen wehren. Wenn er sagt, ich bin als Unschuldiger in so einer Datei gespeichert, dann muss er sich wehren.
Wie kann er das machen?
Er kann zu Datenschutzbeauftragten gehen. Er kann auch die Polizei auffordern, ihn zu löschen, und notfalls Verwaltungsklage erheben.
Ein Würstchenverkäufer, der in so einer Datei ist, kann der in der Kürze der Zeit noch etwas unternehmen?
Das ist genau das Problem. Deshalb halte ich gerade diese Maßnahme für völlig überzogen und für unvertretbar, weil die Leute sich aus zeitlichen Gründen nicht mehr wehren können.
Halten Sie es eigentlich für einen Zufall, dass in der Hooligan-Datei heute innerhalb eines einzigen Jahres 1.000 neue Personen gespeichert wurden?
Das ist schwer zu sagen. Aber man darf bei aller Kritik nicht außer Acht lassen, dass es gerade im Zusammenhang mit Fußballspielen Krawalle gegeben hat. Man denke nur daran, dass in Lens der Polizeibeamte Daniel Nivel 1998 fast erschlagen worden ist. Es gibt ja wirklich Zeitgenossen, die so unerfreulich sind, dass man sie nicht ins Stadion lassen darf. Das finde ich in Ordnung, aber immer unter der Voraussetzung, dass sie als Hooligans einzustufen sind.
Wenn man Sie reden hört, fragt man sich, wo die laute Kritik Ihrer Partei bleibt.
Die FDP hat einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der sich gegen die Sicherheitsüberprüfungen wendet und sie für zukünftige Fälle anders handhaben will.
Aber davon hat man in der Öffentlichkeit wenig gehört.
Es ist von der Fraktion ein offizieller Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Er ist im Plenum behandelt worden und in die Ausschüsse verwiesen worden. Das ist der normale Weg. Wie schnell dann entschieden und beraten wird, ist ein Vorgang, der von der Mehrheit des Bundestags gesteuert wird, den eine Minderheit nicht durchsetzen kann.
Müsste man sich nicht auch in der Öffentlichkeit noch viel deutlicher äußern?
Ich habe mich dazu geäußert.
Sie gehören ja, mit Verlaub, nicht zur aktuellen Parteispitze. Das ist doch vor allem Herr Westerwelle gefragt?
Ich bin nicht bereit, das hier in einer besonderen Weise zu kritisieren. Mehr, als dass die Fraktion dagegen vorgeht, kann man nicht erwarten. Das hat sie getan. Sie hätte es vielleicht ein bisschen früher machen können.
Sie haben vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den großen Lauschangriff und den möglichen Abschuss von Flugzeugen geklagt und gewonnen. Werden Sie gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren klagen?
Was das angeht, muss man erst mal warten, was der Verteidigungsminister vorhat. Ich sehe mit einiger Beunruhigung, dass er dauernd mit einem Weißbuch herumwedelt, dessen Inhalt ich aber noch nicht kenne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sicherheit der Bürger dadurch verbessert wird, dass ich überall im Inland Militär aufstelle. Ich halte das für eine ganz gefährliche Entwicklung. Das ist der Beginn der Militarisierung der Politik.
Innenminister Schäuble wollte den Objektschutz durch die Bundeswehr zur WM, hat aber die nötige Grundgesetzänderung nicht rechtzeitig hinbekommen. Kommt die Änderung denn nach der WM?
Das hängt zunächst einmal von den Sozialdemokraten ab. Wolfgang Schäuble braucht ja eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Wenn er die erreicht, die Bundeswehr im Inland einsetzen und sie bevollmächtigen kann, auch Unschuldige zu töten, dann werden wir uns in Karlsruhe wiedersehen.