Wir trocknen uns aus

Die Vereinten Nationen schlagen Alarm: Die Erderwärmung bedroht die Wüsten – und den Lebensraum für eine halbe Milliarde Menschen

Erst der Klimawandel macht aus den Wüsten Wüsten: biologisch tote Landschaften

VON NICK REIMER

In der Wüste Namib lässt sich’s gut leben. Zum Beispiel für den Schwarzkäfer. Der deckt seinen Wasserbedarf aus der Luft, er stellt sich einfach kerzengerade auf. Kommt der Wind in Namibias Wüste vom Atlantik her, enthält er Feuchtigkeit. Der Käfer hat es so eingerichtet, dass diese auf seinem schwarzen Rücken kondensiert – und dank des Handstandes direkt ins Fresswerkzeug fließt.

Selbst die älteste Wüste der Welt lebt also. Was aber, wenn sich das Klima verschiebt? Die Vereinten Nationen haben gestern den Bericht „Global Deserts Outlook“ vorgestellt, eine Untersuchung der Zukunftsperspektiven der Wüsten der Welt. Und diese Aussichten werden nicht nur den Schwarzkäfer vor massive Probleme stellen: Der Klimawandel werde auf die Wüsten überproportionale Auswirkungen haben, hieß es. Voraussagen gehen von einem Rückgang der ohnehin seltenen Regenfälle um ein Fünftel und einem Anstieg der mittleren Temperatur von bis zu sieben Grad in diesem Jahrhundert aus. Erst der Klimawandel werde aus den Wüsten das machen, was man sich unter dem Begriff „Wüste“ vorstellt: eine biologisch tote Landschaft aus Sand und Stein.

33,7 Millionen Quadratkilometer – etwa ein Viertel der weltweiten Landfläche, gelten nach den Standards der UNO als Wüsten. „Anökumene“ werden diese Gebiete genannt, die wegen ihrer extremen physisch-geografischen Bedingungen nicht besiedelbar sind – Polarregionen, Vollwüsten, Gipfelregionen der Hochgebirge. Doch bereits knapp hinter den Trocken-, Höhen- und Kältegrenzen leben mehr als eine halbe Milliarde Menschen. Deren Lebensgrundlage sind entweder temporäre Niederschläge oder die Gletscher in den Hochgebirgen. Wegen der Klimaverschiebung, so rechnen die Autoren des Berichts jedoch, werde bis Ende dieses Jahrhunderts 20 Prozent weniger Niederschlag in den Wüsten niedergehen als heute. Andererseits greift die Erderwärmung weltweit die Gletscher an. Was in den Alpen noch nicht das ganz große Problem ist, ist andernorts verheerend: So beziehen etwa die südamerikanischen Wüsten Atacama in Chile und Peru oder die argentinische Wüste Monte ihre Wasserreserven ausschließlich aus den Gletschern der Anden. „Wenn sich die Gletscher nach der alljährlichen Schneeschmelze immer weiter zurückziehen, führt das letztlich zu einer Katastrophe“, sagt Geographieprofessor Andrew Warren vom University College London, einer der Autoren der Studie. Zum Beispiel die Gletscher der tibetischen Hochebene: Der Bericht prognostiziert deren Rückgang bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um 80 Prozent. Zurück bliebe dann eine unbewohnbare Wüstenlandschaft, wie man sie infolge von Erosionen schon in höheren Andenlagen vorfindet.

Aber nicht nur der Klimawandel macht den Wüsten schwer zu schaffen. Im arabischen Raum, in Israel oder in den USA wird die Wüste zunehmend besiedelt, was oft eine Gefährdungen des empfindlichen Ökosystem bedeutet. Steigender Wasserverbrauch und mehr Landwirtschaft führen zur Austrocknung der schwachen Wasserreservoirs und zur Versalzung des Landes. „Wüsten stehen immer mehr unter dem Druck der modernen Zivilisation“, sagte der geschäftsführende Direktor des UN-Umweltprogramms UNEP, Shafqat Kakakhel, gestern in Nairobi.

Was das heißen könnte, erklärt Andrew Warren: „Mit der Zerstörung der Wüsten verlieren wir zugleich Spezies, die der Schlüssel zum menschlichen Überleben sein können.“ So sei das medizinische Potenzial von Wüstenpflanzen bislang kaum erforscht. Experimente mit neuen, der Wüste angepassten Getreidearten zeigten zudem Chancen für Hungerregionen wie den Sahel auf. „Jeder sorgt sich um die Berge, jeder sorgt sich um die Ozeane. Aber niemand macht sich bislang große Gedanken über die Wüsten“, urteilte gestern Unep-Sprecher Nick Nuttall. Zwar haben die Vereinten Nationen 1994 in Paris ein „Abkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung“ getroffen und Wissenschaftler 2003 in einer „Hamburger Deklaration“ dramatisch auf die Umsetzung der Beschlüsse gedrängt. Zwar erklärte UN-Generalsekretär Annan 2004, dass „die Bekämpfung der Versteppung eine ausschlaggebende Rolle“ zur Umsetzung der Millenniums-Ziele sei. 2006 wurde sogar zum „Internationalen Jahr der Wüsten und Wüstenbildung“ ausgerufen. Gebracht hat das nichts. Nie lief die Verwüstung so rasant wie heute.