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Archiv-Artikel

Die neue Vernünftigkeit

Bundestags-Anhörung zur DDR-Geschichte: Ex-Bürgerrechtler und Historiker wollen mehr DDR-Alltag zeigen. Rechte Kritiker des Konzepts gingen argumentativ unter

Die ideologisch aufgeladene Kalte-Kriegs-Rhetorik spielte keine Rolle mehr

BERLIN taz ■ Anfang Mai hat eine aus Ex-Bürgerrechtlern und Zeithistorikern bestehende Expertenkommission ein Konzept für DDR-Gedenkstätten vorgelegt (taz vom 12. 5.). Sie empfiehlt den Blick zu weiten und jenseits der Stasi-Fixierung auch den Alltag in der Diktatur zu betrachten. Dies hatten rechte Historiker und die Leiter der Stasi-Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße heftig attackiert. Bei der Vorstellung des Konzepts hatte zudem Hermann Schäfer, rechte Hand des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU), die Kommission schroff angegriffen. Hauptvorwurf: Verharmlosung der DDR. Vorgestern trafen die Kontrahenten bei einem Hearing aufeinander.

Der konservative Historiker Horst Möller, Leiter des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, begann mit einem Frontalangriff. Die Kommission sei einseitig zusammengesetzt – wobei sich der leise Verdacht einstellte, dass er für sich und nicht liberale Historiker wie Klaus-Dietmar Henke oder Martin Sabrow ebenfalls einen Platz in der Kommission beansprucht. „Typisch für die DDR war die Stasi, nicht die Kinderkrippe“, so Möller, der sich in den Schützengräben des Kalten Krieges offenbar häuslich eingerichtet hat. Die Ex-Bürgerrechtlerin und Kommissionsmitglied Ulrike Poppe konterte zutreffend, dass gerade die bis in die Krippen reichende Durchherrschung des Alltags typisch für die DDR war. Und die Frage vieler Eltern, ob sie ihren Kinder diese Krippen zumuten konnten.

Doch bemerkenswerterweise spielten ideologische Verhärtungen à la Möller in der Debatte keine Rolle. Das lag wohl auch daran, dass Hubertus Knabe, umstrittener Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, und Jörg Drieselmann von der Gedenkstätte Normannenstraße zwar eingeladen, aber nicht erschienen waren. Den vernünftigen Ton gaben die Statements von Reinhard Rürup, Richard Schröder und Joachim Gauck vor. Rürup empfahl, die Geschichte der NS-Gedenkstätten zum Vorbild zu nehmen. Auch dort habe es einen Übergang von eher privaten zu staatlichen Gedenkinstitutionen gegeben. Joachim Gauck betonte die Rolle des Alltags. „Die normale Anpassungsleistung des DDR-Bürgers begann nicht vis-a-vis des Stasi-Offiziers“, so Gauck. Richard Schröder erklärte pädagogisch in Richtung Opferverbände, dass „Historisierung nichts Böses, sondern etwas Natürliches ist“.

Das Fazit? Klaus-Dietmar Henke meinte zur taz, das Hearing habe gezeigt, wie schwach „die Polemik gegen eine kritische Historisierung der DDR“ sei. Unklar ist allerdings trotz dieses Sieges an der Diskursfront, was aus den Empfehlungen der Kommission wird. Das Duo Neumann/Schäfer scheint entschlossen, die Kommission weiter für ein unliebsames rot-grünes Erbe zu halten. Der Kulturausschuss des Bundestages wird sich Ende Juni mit den Empfehlungen befassen. Anfang 2007 soll ein Gedenkstättenkonzept für die NS- und die DDR-Zeit vorliegen. Trotz kleinteiliger parteipolitischer Scharmützel ist die Chance für ein vernünftiges Konzept noch nicht vertan.

STEFAN REINECKE Interview mit Richard Schröder Seite 11