zwischen den rillen
: Sound aus dem heiligen Anderswo

Alle lieben den Kopfnicker-Bass und den hysterisch gekreischten Refrain: Gnarls Barkley befriedigen den Nerd in dir

Das ging aber schnell. Plötzlich war der Song im April da, stieg auf Platz 1 in den britischen Charts ein, wurde hunderttausendfach gedownloaded, kam als Klingelton auf Handys und mit tollem Rorschach-Video in die Clipmühle auf MTV. „Crazy“ hieß das Stück, keiner kannte die Band, aber alle liebten den Kopfnicker-Bass, den hysterisch gekreischten Refrain. In Neuseeland, bei den sonst nicht so feierwütigen Belgiern. In Deutschland konnten nur Texas Lightning und Oliver Pocher, der singende Fanblock, gegen den Hit anstinken. Unter normalen Umständen wäre das Lied hierzulande also auch ganz oben gewesen.

Jetzt haben Gnarls Barkley ihr „Crazy“ vom Markt genommen. Weil neun Wochen auf der Pole Position im englischen Pop eine Sensation sind, die sich das Duo, das aus Hiphop-Produzent Danger Mouse und dem Soulcrooner Cee-Lo besteht, nicht durch einen langsamen Abstieg verderben wollte. Weil es am schönsten ist, wenn man aufhören kann? Wohl nicht, denn parallel zum Stopp der Single haben Gnarls Barkley nun das Album „St. Elsewhere“ herausgebracht. Als Verlängerung des Höhepunkts, weil sie die Regeln der medialen Aufmerksamkeit beherrschen.

Wie aber ist der Erfolg einer Band zu erklären, die praktisch aus dem Nichts so groß geworden ist wie die Beatles? Der Vergleich passt durchaus, schließlich hat Danger Mouse, der mit bürgerlichem Namen Brian Burton heißt und wie Cee-Lo aus dem amerikanischen Süden von Atlanta stammt, Popmusik erst mit 19 Jahren durch die Beatles entdeckt. Nicht ohne Folgen: Danger Mouse kombinierte das „White Album“ mit dem „Black Album“ des Rappers Jay-Z, zog sich den Zorn von EMI zu, die mit Copyright-Klagen drohten, stellte daraufhin sein so genanntes Grey Album ins Netz – und wurde zur Soundpiraten-Legende. Nebenher sammelte der Psychedelic-Jünger Burton Obskuritäten aus den Sixties, deren melodische Vielfalt er im Studio weiterverwurstet: Hauptsache, es klingt nach Garage und wabert.

Doch diese Vorliebe liegt ja noch nicht unbedingt auf einer Wellenlänge mit den aktuellen Charts. Tatsächlich schafft es Burton, die euphorischen, manchmal auch chaotischen Energien eines vergangenen Jahrzehnts unterschwellig mitlaufen zu lassen, ohne dass die Tracks von Gnarls Barkley nach spätem Aufguss klingen. Hundertfach in Samples zerstäubt, legt sich der Sound von Moog-Gequietsche und Funk-Orgeln bis zum rotierenden Hall-Effekt wie ein glitzernder Schleier über die Songs. Wer würde beim himmlischen Groove von „Crazy“ denken, dass das Stück auf einem sanft gehäkelten Folksong basiert?

Es ist das alte Spiel: Man trifft sich in der Gegenwart, dort, wo die Reibung zwischen Gestern und Morgen am stärksten ist. So können Gnarls Barkley sich im einen Moment gepflegt auf Zitaten der Retro-Lounge-Ästhetik treiben lassen, um gleich danach hellwach auf rauen, unverputzten Grime-Underground-Krawall zu schalten. Diese Wandlungsfähigkeit wiederum passt zu einem Pop, der nurmehr splitterhaft Identifikation anbietet. Und an diesem Punkt tritt das Internet mit seinen versprengten Minderheiten auf den Plan: Die unentwegte Verfügbarkeit jedes möglichen Stils als mp3-File, der ständige Austausch unter den Communities – das alles wird von Burton/Cee-Lo gebündelt, verfeinert und auf eine Form gebracht, die zugleich im globalen Maßstab begeistert und dennoch den idiosynkratischen Nerd in dir und mir befriedigt. „St. Elsewhere“ rockt, weil es konsequent andockt. Insofern ist der Titel für Gnarls Barkley programmatisch: Das heilige Anderswo ist heute überall. Und viele Individuen sind am Ende auch eine Masse.

HARALD FRICKE

Gnarls Barkley: „St. Elsewhere“ (Warner Music)