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Archiv-Artikel

Fregatten zu Ferienhäusern

In Kappeln an der Ostsee entsteht für 700 Millionen Euro das größte Touristendorf an der deutschen Küste. Aus einem Marinehafen wird Port Olpenitz – ein Modell für die friedliche Nutzung verwaister Militärgelände

„Die Bau- und Kulturstile“ des Landes zwischen den Meeren sollen dem Touristendorf zwischen Meer und Förde „unverwechselbaren Charme“ verleihen

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Kappeln könnte der Gewinner sein. Wenn der Sommer beginnt, gehen vier Jahrzehnte militärischer Präsens mit einem Zapfenstreich zu Ende. Am 21. Juni ziehen die Soldaten ab, und dann rollen die Bagger an. 160 Hektar Land- und Wasserfläche werden sie umgestalten, und wenn im Jahr 2012 der letzte Pinselstrich getrocknet sein wird, ist aus Kasernengelände und Militärhafen an der Schlei das größte touristische Projekt an der deutschen Küste geworden: Port Olpenitz heißt die Zukunft im Nordosten Schleswig-Holsteins. „Alles“ schwebe ihm vor, sagt Herbert Harm, „nichts wird für den Gast unmöglich sein.“

Für 700 Millionen Euro will der Architekt aus dem mecklenburgischen Waren an der Müritz ein Freizeit- und Tourismusprojekt von gigantomanen Ausmaßen verwirklichen. Etwa 2.000 Wohnungen in Ferien- und Apartmenthäusern sollen direkt am Wasser entstehen, einige auf Pfählen auf dem Wasser und die meisten auf künstlich aufgeschütteten Inseln im Wasser. Zwei Hotels, ein Schwimmbad und eine Eventarena für 1.500 Zuschauer, Freilichtbühne und Aquarium, Segler- und Museumshafen, Seniorenresidenz und Kita, zudem Surf- und Drachenfliegerschulen sind vorgesehen, ein 18-Loch-Golfplatz und selbst eine Skihalle sind angedacht: „Es gibt keinen vergleichbaren Hafen, der aufgelöst wird“, sagt Harm, „das ist eine Jahrhundertchance.“

So sieht das auch Roman Feodoria. „Provinz“ gebe es nicht als Landschaft, „sondern nur in Köpfen“, glaubt Kappelns CDU-Bürgermeister. Und wenn er Visionen habe, fügt er hinzu, „gehe ich nicht gleich zum Arzt“. Obwohl das nahe läge in der Kleinstadt zwischen Schlei und Ostsee, die es seit 20 Jahren als Schauplatz der ZDF-Serie „Der Landarzt“ zu gewisser bundesweiter Bekanntheit brachte.

Die alljährlichen Heringstage hat das 10.000 Einwohner zählende Städtchen an der lang gestreckten Förde noch zu bieten, an deren Ende die Wikinger-Siedlung Haithabu ihre museale Wiederbelebung erfahren hat. Und eben den Marine-Stützpunkt Olpenitz draußen an der Ostseeküste, der nun seiner Wiederauferstehung als Gästemagnet harrt, wenn die Fregatten denn erst durch Ferienhäuser ersetzt worden sind.

Vor eineinhalb Jahren hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) die Schließung von Olpenitz verkündet. Die Schiffe und ihre Besatzungen würden wenige Seemeilen südlich nach Kiel verlegt. Vor vier Wochen, am 19. Mai, liefen die letzten sechs Boote des Olpenitzer Minensuchgeschwaders ihre neue Basis in der Landeshauptstadt an.

Insgesamt wurden oder werden 13 Militärstandorte in Schleswig-Holstein aufgelöst, 14 in Niedersachsen und drei Kasernen in Hamburg (siehe Kasten). Ein jahrelanger Abwehrkampf vieler Kreis- und Kommunalpolitiker im Norden gegen die Konsequenzen aus dem Ende des Kalten Krieges war am 2. November 2004 mit Strucks Entscheidung verloren. Und damit der oftmals größte Arbeitgeber vor Ort. Auch an der Schlei droht der Verlust von bis zu 2.000 Arbeitsplätzen. Anders als die meisten Städte aber hatte Kappeln bereits nach Alternativen gesucht.

Es habe „immer einen Plan B“ gegeben, sagt Bürgermeister Feodoria, etliche mögliche Investoren seien abgeklappert worden, manches „interessante Konzept“ jedoch sei an der Finanzierbarkeit gescheitert. „Man muss viele Frösche küssen, bis ein Prinz kommt“, fasst er seine Erfahrungen zusammen.

Herbert Harm könnte blaublütig sein. Im mecklenburgischen Rheinsberg, wo Kurt Tucholsky einst die Seele baumeln ließ, baut der 62-Jährige eine ehemalige DDR-typische Ferienanlage zu einem Hafendorf um. Gut fünf Hektar am See für 100 Millionen Euro in Kooperation mit dem Reisekonzern Thomas Cook. Das sei „eher ein Probelauf“, sagt Harm, Olpenitz habe „eine ganz andere Dimension“.

In der Tat sollten auch Hamburgs Standortfetischisten zur Kenntnis nehmen, dass Olpenitz mit seinen 160 Hektar Fläche größer ist die Hafencity. Die wird in der Hansestadt gern als „Europas größte Baustelle“ bejubelt, nun aber droht der zweite Rang.

Thomas Cook soll auch an der Schlei wieder mit im Boot sein, ebenso TUI und der dänische Ferienanbieter Christensen. Großinvestoren sind zudem eine Beteiligungsgesellschaft aus Texas und die deutsche Wayss & Freytag AG, Tochter eines der größten europäischen Baukonzerne, der holländischen Royal BAM Group. „Ohne öffentliche Mittel“, sagt Harm, soll das Projekt verwirklicht werden.

Über den Preis für das Areal wurde kürzlich eine Einigung zwischen der staatlichen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und der Investorengruppe erzielt, die Höhe jedoch bleibt ungenannt. Wenn die Marine abgedampft ist, können die Bauarbeiten beginnen. Kleinere Bedenken von Umweltschützern seien „im Grundsatz ausgeräumt“, sagt Feodoria. Immerhin wird das betonierte Hafenbecken renaturiert, der Boden großflächig entsiegelt und die Umgebung naturnah gestaltet.

Für den Abriss der Gebäude soll die Neue Arbeit Nord aus Husby bei Flensburg sorgen. In dieser eigens gegründeten gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaft sind manche untergekommen, die durch den Abzug der Bundeswehr ihre Arbeit verlieren. Und wer abreißen könne, glaubt der Bürgermeister, „kann auch wieder aufbauen“.

200 weitere Jobs sollen in der einstigen Marinewaffenschule Kappeln entstehen, die bereits vor vier Jahren aufgegeben wurde. Bis 2009 wird sie zu einem internationalen Ausbildungszentrum für para-olympische Sportler umgebaut werden. An die 1.000 Arbeitsplätze aber soll allein Port Olpenitz schaffen.

Die Fischer könnten ihren Fang „direkt im Hafen vom Kutter aus verkaufen, an die Gäste in den Ferienwohnungen und an die Restaurants“, sagt Harm. Bauernhofladen und Landschlachterei sind in seinem Konzept ebenso vorgesehen wie mehrere Wochenmärkte „für regionaltypische Produkte“. Ärzte und Gesundheitsdienste, Angestellte für die gastronomischen Betriebe, die Hotels und das Schwimmbad, dazu Fahrrad- und Bootsverleiher, Ausflugsskipper und Wassertaxibetreiber, Anbieter für Naturerlebniswanderungen – so rasch kommt Harm nicht zum Ende beim Aufzählen.

Das alles sei zudem „Existenzsicherung und -erweiterung für die regional ansässigen Klein- und Mittelbetriebe“, sagt er. Selbst Schafe samt Schäfer sollen ihr Auskommen finden in Port Olpenitz, das Harm zu einem Schleswig-Holstein im Miniformat machen will.

Deiche mit Salzwiesen und eben Schafen sollen zusammen mit Friesenhäusern an die Nordsee-Marschen erinnern, auch Geest und Hügelland samt langgestreckten Wohn-Wirtschaftsgebäuden werden nachgebildet. „Die Bau- und Kulturstile“ des Landes zwischen den Meeren sollen dem Touristendorf zwischen Meer und Förde „unverwechselbaren Charme“ verleihen.

Herbert Harm ist von der Attraktivität seines Projekts für Urlauber und Käufer von Eigentumswohnungen überzeugt. Ebenso glaubt er an die Anziehungskraft auf die sommerlichen Segler in der nahen dänischen Südsee. „Der Hafen versandet nicht, und Schlei und Ostsee sind ideale Segelreviere.“

Auch Bürgermeister Roman Feodoria glaubt „ganz fest“ an das Projekt: „Sicher bin ich mir aber erst, wenn die Spatenstiche gemacht sind.“