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Archiv-Artikel

Ein sicherer Hafen für den Kommerz

taz-Serie „Hafenstadt Berlin“ (Teil 4): Rund um den Hafen Tempelhof sollte nach dem Willen des Bezirks ein „Kulturhafen“ entstehen. Doch nachdem ein Investor das Gelände kaufte, ist davon keine Rede mehr. Geplant ist nun eine Shopping-Mall

VON UWE RADA

Noch ist der Hafen Tempelhof eine – wenn auch heruntergekommene – Idylle. Wer die Treppe gefunden hat, die von der Stubenrauchbrücke hinunter zum Hafenbecken führt, muss sich durch dichtes Gestrüpp schlagen. Zur Linken sieht der Besucher dann den alten Kran vor dem heruntergekommenen „Lagerhaus Hafen Tempelhof“, vor ihm dümpeln ein paar Sportboote im Teltowkanal, die die Bezeichnung Jacht kaum verdienen, rechts stehen Tische und Stühle vor einer Baracke. Eine Tempelhofer Kleinbürgeridylle also, ragte nicht gegenüber die glitzernde Fassade des Modezentrums im Ullsteinhaus empor.

Eigentlich ist der Tempelhofer Hafen kein Berliner, sondern ein Brandenburger Hafen. Angelegt beim Bau des Teltowkanals kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, gehörte das 4,4 Hektar große Gelände samt denkmalgeschützem Speicherhaus bis vor kurzem den Landkreisen Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald. Die waren mit der brandenburgischen Kreisreform 1993 rechtmäßige Nachfolger jener DDR-Kreise geworden, die ihrerseits den Altkreis Teltow beerbten – die Gebietskörperschaft also, auf deren Geheiß der gleichnamige Kanal samt Hafen gebaut worden war. Hafengeschichten können ziemlich kompliziert sein.

Richtig kompliziert wurde die Geschichte des Hafens Tempelhof aber erst, als die Liegenschaft vor zwei Jahren zum Verkauf stand. Nicht mehr die Kreise aus Brandenburg sollten nun über das Schicksal des Hafens entscheiden, sondern das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Wie aber weckte man die Idylle aus ihrem Dornröschenschlaf?

Die Ersten, die darauf eine Antwort hatten, waren die Macher der nahe gelegenen Ufa-Fabrik. Warum nicht den ehemaligen Binnenhafen in einen „Hafen der Kulturen“ verwandeln, fragte sich der Stadtplaner Michael LaFond, der mit Kollegen das Büro „id22“ auf dem Gelände des alternativen Kulturzentrums betreibt. Schnell war aus der Idee ein Konzept geworden, das auch im Bezirksamt Tempelhof-Schönefeld auf Zustimmung stieß. „Es sollte eine Mischung werden, die den ganzen Stadtteil belebt“, erinnert sich LaFond, „mit einem Ökokaufhaus, Ateliers für Künstler, einem Jugendgästehaus, einer schwimmenden Bühne und Biergärten.“

Im kulturell etwas zu kurz gekommenen Tempelhof bekam der „Kulturhafen“ plötzlich eine Leuchtkraft, die auch die Einzelhändler am Tempelhofer Damm in ihren Bann zog. Auch wenn deren Vorstellung etwas traditioneller klang: Kultur, Kommerz, Wohnen. Als dann der potenzielle Käufer des Hafens, der Münsteraner Projektmanager HLG, am runden Tisch Zustimmung signalisierte, schien alles klar. Über den „Kulturhafen“ sollte es Tempelhof endlich mit der Bezirksschwester Schöneberg an Attraktivität aufnehmen können.

Allein es kam anders, erinnert sich Jürgen Winkelmann von der Werbegemeinschaft Tempelhofer Damm: „Kaum war das Gelände verkauft, pochte die HLG auf mehr Einzelhandelsfläche.“ 12.000 Quadratmeter wollte der Bezirk den Münsteranern zugestehen. „Selbst 15.000 hätten wir akzeptiert“, meint Winkelmann, „obwohl es da für die kulturellen Nutzungen schon eng geworden wäre.“ Doch die HLG bestand auf 20.000 Quadratmetern und dem Bau einer Shopping-Mall im denkmalgeschützten Lagergebäude. Die CDU im Bezirk scherte aus dem Konsens aus, die SPD zog mit, und die grüne Stadträtin für Stadtentwicklung, Elisabeth Ziemer, stand plötzlich alleine da mit den Ufa-Leuten und den Einzelhändlern.

Jürgen Winkelmann kann sich noch heute darüber ärgern. „Berlin hat viel zu viel Einzelhandelsfläche, der keine Kaufkraft gegenübersteht.“ Doch alle Bemühungen der letzten Zeit haben nichts genutzt. Nichts die Verhandlungen mit dem Investor, nichts der Brief an Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) mit der Bitte, der Shopping-Mall die Genehmigung zu verweigern. Die einzige Hoffnung, die Winkelmann bleibt. „Noch in diesem Monat soll der Bebauungsplan aufgestellt werden. Vielleicht kommt da ja über die Bürgerbeteiligung noch etwas mehr Kultur in den Hafen herein.“

Michael LaFond hat diese Hoffnung schon aufgegeben. Seine Pläne sind wieder in der Schublade verschwunden. „Wenn es darauf ankommt, setzt sich der Kommerz durch“, sagt er resigniert. Und tatsächlich: Wer am Hafenbecken, dieser brachliegenden Idylle, steht, kann erahnen, was für eine Chance hier in Tempelhof verpasst wurde. Noch eine Glasfassade wie gegenüber am Ullsteinhaus, und niemand mehr käme auf die Idee, dass hier einmal ein Hafen lag, den die Brandenburger in Berlin gebaut haben.

Hafengeschichten können eben nicht nur kompliziert sein, sondern auch traurig.