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Archiv-Artikel

Pistole an der Schläfe

PORTRÄT Kleine Verlage ganz groß: Katja Cassing bringt neue japanische Literatur auf den deutschen Markt – mit einigem Erfolg. Ein Besuch bei ihrem cass verlag im thüringischen Bad Berka

Der cass verlag

■ Gegründet: Im Jahr 2000 von Katja Cassing. Die promovierte Japanologin wollte vor allem hochwertige japanische Krimis verlegen. Inzwischen kamen auch andere Romane und historische Reiseberichte hinzu. Zuletzt erschien Morio Kitas Roman „In Nacht und Nebel“ über einen japanischen Pathologen während des Nationalsozialismus in Deutschland.

■ In Planung: Publikationen zum Japanischen als Fremdsprache. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Japanologen Jürgen Stalph, erstellt Cassing außerdem das dreibändige „Große japanisch-deutsche Wörterbuch“. Band 1 ist bereits erhältlich.

www.cass-verlag.de

VON KATHARINA BORCHARDT

Morgens um acht in Bad Berka: Im gelben Haus gegenüber der Marien-Kirche fällt die Tür zu, und Katja Cassing geht zur Arbeit. Die Frau läuft die Straße hinunter zum blauen Haus. Dort hat sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Japanologen Jürgen Stalph, eine Wohnung gemietet und ein Büro daraus gemacht. Zwei helle Arbeitszimmer sind miteinander verbunden, dazu kommt noch eine Bibliothek mit blauem Futonsofa. In diesen Räumen entsteht das auf drei dicke Bände angelegte „Große japanisch-deutsche Wörterbuch“. Und hier übersetzt und gestaltet Katja Cassing auch die Bücher, die in ihrem cass verlag erscheinen. Ein winziges und doch hochproduktives japanologisches Kompetenzzentrum in der thüringischen Provinz.

„Bad Berka ist super“, sagt Katja Cassing, „ich bin sehr glücklich, dass wir jetzt hier sind!“ Die 43-Jährige spricht schnell, und sie mischt mit fröhlicher Selbstverständlichkeit japanische Vokabeln in ihre Sätze. Sie hat zwölf Jahre lang in Tokio gelebt, studiert und geforscht. „Nach Tokio wollten wir in einer kleinen Stadt leben“, sagt Cassing, „und hier ist es einfach schön. Es gibt viel Wald, die Gegend ist Landschaftsschutzgebiet, und Goethe war auch schon da!“ Sie lacht; das tut sie oft. „Und“, betont sie, „die Universitätsbibliotheken von Jena und Erfurt sind von hier aus leicht zu erreichen.“

Von Tokio aufs Dorf. Dem Arbeitseifer der beiden Japanologen hat dies nicht geschadet. Ganz im Gegenteil. Hier können sie ungestört an dem Wörterbuch arbeiten, mit dem sie auch ihre Brötchen verdienen. Es ist ein Drittmittelprojekt, in das die Stiftungen von Thyssen und Volkswagen aktuell viel Geld stecken. Spätestens 2019 soll das Projekt abgeschlossen sein, sagt Katja Cassing, und ergänzt heiter: „Man könnte meinen, wir seien langsam wie die Schnecken. Aber in der Tat sind wir megaschnell! Wir sind sogar rekordverdächtig schnell!“

Ihren Verlag gründete Katja Cassing im Jahr 2000 von Tokio aus. Sie verschlang schon damals mit Vorliebe japanische Krimis und fand immer, dass es davon zu wenige auf Deutsch gibt. Diese Lücke sollte der Verlag schließen, der sich inzwischen aber auch für andere Genres geöffnet hat. Mangels eigener Adresse siedelte sie den Verlag im ostwestfälischen Löhne an – unter der Adresse ihrer Eltern. Tatsächlich aber ist der Einfrauverlag immer gerade da, wo auch Katja Cassing ist. Zuerst also in Tokio und nach einem kurzen Aufenthalt im Rheinland nun in Bad Berka.

Als Erstes entdeckte Katja Cassing den japanischen Autor Keigo Higashino für den deutschen Markt. Seinen Krimi „Mord am See“ übersetzte sie unter dem Pseudonym Katja Busson, unter dem sie auch heute noch als Übersetzerin arbeitet. „Mord am See“ erzählt von einer Gruppe wohlsituierter Eltern, die ihre Sprösslinge für die Aufnahmeprüfung an eine angesehene Privatschule trainieren lassen. In dem dafür hergerichteten Ferienhaus geschieht schließlich ein rätselhafter Mord. Whodunit?

Das muss sich auch der „Hai von Shinjuku“ immer wieder fragen, ein Kommissar aus Tokio. Katja Cassing stieß beim Stöbern in ihrer Tokioter Lieblingsbuchhandlung auf die Krimiserie um den Hai von Shinjuku, die in Japan auch schon verfilmt wurde, und sie hat bislang die ersten beiden Folgen der Serie ins Deutsche übertragen. Im ersten Band, „Sodom und Gomorrha“, hat der ins berühmt-berüchtigte Vergnügungsviertel Shinjuku abgeschobene, aber äußerst integre Kommissar zunächst eine Serie von Polizistenmorden aufzuklären. In seinem zweiten Fall, „Rache auf Chinesisch“, der 2008 auch von der Krimiwelt-Bestenliste ausgezeichnet wurde, soll er dann einen taiwanesischen Profikiller unschädlich machen, der in Tokio sein Unwesen treibt.

Enthusiasmus und Akkuratesse

Eine Übersetzung braucht Zeit, zumal wenn man nicht Vollzeit daran arbeiten kann. „Ich möchte nur gute Bücher machen“, betont Katja Cassing. Sie führt ihren kleinen Verlag mit einer Mischung aus Enthusiasmus und Akkuratesse, die auch für die jahrelange Arbeit an einem Wörterbuch unerlässlich sind.

Deshalb will sie nur Bücher verlegen, die einwandfrei übersetzt und außerdem schön gestaltet sind. Dazu gehören ein fehlerfreier Druck genau so wie gutes Papier und ein solider Einband. Das ist gar nicht selbstverständlich für einen kleinen Verlag, der trotz respektabler Buchverkäufe keinen Gewinn erwirtschaftet. Qualität kostet. Noch immer muss Katja Cassing einen Teil ihres Wörterbuch-Gehalts in den Verlag stecken. „Der läuft nicht schlecht“, sagt sie, „aber es könnte besser laufen, wenn Bücher aus kleinen Verlagen es nicht so schwer hätten, in Buchläden angeboten zu werden.“

Ein altbekanntes Problem. Trotzdem macht sie auch bei der Covergestaltung keine Abstriche. Selbst gebastelte Photoshop-Kreationen kommen für ihre Bücher nicht infrage. „Ich engagiere meistens junge Zeichner oder Maler, die gute Ideen haben, aber noch nicht so hohe Honorare verlangen“, erklärt sie. Die Originalzeichnungen für Arimasa Osawas „Sodom und Gomorrha“ etwa hängen in ihrem Büro: eine schneeweiße Maske und eine Teufelsfratze, beide mit Pistole an der Schläfe.

Außergewöhnlich ist auch das Cover von Choukitsu Kurumatanis Krimi „Versuchter Liebestod“, der 2012 von der Weltempfänger-Bestenliste ausgezeichnet wurde. Der Holzschnitt zeigt die Rückenansicht einer großflächig tätowierten Frau. Dabei handelt es sich um Ayako, die schöne koreanischstämmige Geliebte des rätselhaften Tätowierers Hori, die auch dem jungen Erzähler Ikushima den Kopf verdreht. Am Ende müssen die beiden Hals über Kopf vor Hori fliehen. Eine düstere, erotisch aufgeladene Geschichte.

Anfangs hat Katja Cassing alle zwei Jahre ein Buch geschafft, inzwischen sind es zwei Titel pro Jahr

Koreanischstämmige Figuren treten auch in den Romanen von Kazuki Kaneshiro auf. Der Autor stammt selbst aus einer koreanischen Familie, ist aber in Japan aufgewachsen. „Ich habe nicht speziell nach Büchern mit koreanischstämmigen Figuren gesucht“, sagt Katja Cassing, „das hat sich so ergeben, Kaneshiros Geschichten gefallen mir.“

Zuerst erschien „Go!“ im cass verlag, eine rasante Jugendgeschichte um den jungen Sugihara, der als Koreaner in Japan dauernd diskriminiert wird. Doch Sugihara lässt die Fäuste fliegen, wenn ihm einer blöd kommt. Ein Roman voll tragischer Komik. Ähnlich vital fällt Kaneshiros Roman „Fly, Daddy, Fly“ aus, in dem ein unsportlicher Angestellter trainiert, bis er so fit ist, dass er seine Tochter rächen kann, die in einer Karaokebar niedergeschlagen wurde. Die Lektüre ist tatsächlich so, dass sie zum Sport animieren kann.

Die Verlegerin wählt ihre Bücher jedenfalls ganz nach eigenen Vorlieben aus und beweist ein gutes Händchen dabei. Auch das Gespräch mit ihrem Mann Jürgen Stalph, der in den 90er Jahren den damals noch völlig unbekannten Haruki Murakami für den deutschen Buchmarkt entdeckte, ist wichtig für die Aufnahme eines Titels ins Verlagsprogramm.

Gerade frisch ist Morio Kitas Roman „In Nacht und Nebel“ erschienen, in dem ein nervenkranker Japaner in einer süddeutschen Klinik die Euthanasie im Dritten Reich miterlebt. Ein ungewöhnlicher Blick auf die Nazizeit. Im Frühjahr werden dann die Japan-Erinnerungen des Diplomaten Erwin Rudolf Theobald Knipping erscheinen. „In japanischen Diensten“ heißt der Band.

Anfangs hat Katja Cassing alle zwei Jahre ein Buch geschafft, inzwischen sind es zwei Titel pro Jahr. Das ist ein fast rasantes Publikationstempo für eine Verlegerin, deren Tage zunächst einmal mit lexikografischer Kleinarbeit gefüllt sind. Doch wenn das Wörterbuch erst einmal abgeschlossen ist, werden im cass verlag mehr Bücher erscheinen. Pläne hat Katja Cassing genug und auch eine enorme Sammlung noch unübersetzter japanischer Werke.