: Die Qualitätszeitung
Wie weit kann man es als Lobbyverband bei Qualitätsjournalisten mit Jubelmeldungen bringen? In jedem Fall bis auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung. „Freihandel stärkt deutsche Wirtschaft“, lautete deren Titelschlagzeile vom letzten Montag zum neuen WTO-Abkommen: „Deutschland kann nach dem überraschenden Durchbruch bei den Welthandelsgesprächen auf Bali mit einem spürbaren Anstieg von Wachstum und Beschäftigung rechnen“, lautete der erste Satz; „Allein in den ersten fünf Jahren könne das Abkommen die hiesige Wirtschaftsleistung um 60 Milliarden Euro erhöhen, erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK)“, der zweite.
Das wirkt zwar, als habe die SZ eine Meldung der DIHK einfach abgeschrieben. Aber so ist es nicht. Die DIHK hatte ihre Meldung zur Bali-Konferenz zurückhaltend formuliert: „WTO-Abkommen kann deutscher Wirtschaft Milliarden bringen.“ In der SZ-Schlagzeile und dem ersten Satz des Artikels sind aus Hoffnungen Gewissheiten geworden.
Fehlt nur noch die übliche Lobbystudie, die kritiklos übernommen wird. Sie findet sich in der zweiten Spalte des SZ-Artikels: „Weltweit erwarten Experten einen Wachstumsschub im Volumen von rund einer Billion Dollar sowie bis zu 21 Millionen neue Arbeitsplätze.“ Die in der Süddeutschen nicht näher benannten „Experten“ haben, so schreibt es die DIHK offen, im Auftrag der Internationalen Handelskammer (deutsche Mitglieder: von Adidas bis VW) geforscht. Sucht man nach der diesbezüglichen Studie, findet man auf den 108 Seiten nicht viel mehr als grobe Schätzungen. Warum hätten sich die Autoren auch mehr Mühe machen sollen? In Deutschland finden sich schließlich auch so Journalisten, die den Quark auf Seite 1 abdrucken. MARTIN REEH