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Archiv-Artikel

Spannung aus Leerstellen

Der Sizilianer Salvatore Sciarrino hat den „Macbeth“ eingedampft. Die Wuppertaler Bühnen zeigen die drei namenlosen Akte des zeitgenössischen Komponisten unverstellt und heilsam reduziert

VON REGINE MÜLLER

Es ist bereits sein dritter Abend in Wuppertal: Der sizilianische Komponist Salvatore Sciarrino zählt derzeit zu den populärsten lebenden Tonsetzern, obwohl, oder vielmehr gerade weil er als Autodidakt jenseits handelsüblicher Schulen einen sehr eigenen Stil verfolgt. Im Bergischen Land pflegt ihn das Musiktheater seit geraumer Zeit. Und das bereits als noch gar nicht klar war, ob der Erfolg der „Tödlichen Blume“ keine Eintagsfliege bleiben würde. In der übernächsten Spielzeit plant man sogar eine Sciarrino-Uraufführung in Wuppertal, dann wohl wieder im sanierten Opernhaus, statt im gerade aushelfenden Schauspielhaus, wo es die Musiker nicht eben leicht haben. Die erbarmungslos trockene Akustik bietet allerdings auch Vorteile: Nichts bleibt dem Ohr verborgen, kein Nebengeräusch geht unter. Eine Laborsituation für Sciarrinos leise, wispernde Klänge mit ihren abbrechenden, versickernden Gesten, ihren unzähligen piano-Abstufungen und farblichen Finessen.

Das Sujet scheint nach einer ganz anderen Sprache zu schreien: „Macbeth“ ist als brutale Endlosspirale von Macht, Mord und Wahnsinn auf der Bühne zumeist ein Schlachtfest. Sciarrino jedoch hat Shakespeares Drama schlaglichtartig auf wenige Kern-Szenen eingedampft. „Tre atti senza nome – Drei namenlose Akte“ nennt der sein gespenstisch brodelndes Tragödien-Destillat. Die Handlung, oder sagen wir besser, das Spiel interessiert sich ausschließlich für die inneren Verheerungen, die in Menschen entstehen, denen zwanghaftes Machtstreben eine Karriere um jeden Preis diktiert. Sciarrino gelingt durch seine verhalten raschelnde Klangspur, deren wie zufällig eingestreute Melodie-Schnörkel und Instrumental-Arabesken nie auftrumpfen eine eigenartige Sogwirkung, die ihre Spannung gerade aus Leerstellen zu gewinnen scheint. Obwohl hoch artifiziell, geht von Sciarrinos Musik eine archaische Wirkung aus, eine Einfachheit, die aber weder mit Minimalismus noch mit rückwärts gewandter Rekapitulation etwas zu schaffen hat. Die im klanglichen Gegenlicht irisierenden Schwebeteilchen seiner Musik sind so anmutig, wie sie gefährlich sind. Wie unter dem Mikroskop hübsch anzusehende Parasiten dringen sie ins Unterbewusste ein und rumoren dort weiter. Subkutane Musik. Auch Traummusik, Musik des Verdrängten in verzerrter Zeitdimension.

Womit man am heiß-kalten Kern von Macbeth wäre. Man könnte noch lange fortfahren, das eigentümlich Bezwingende von Sciarrinos Musik zu beschreiben und doch immer daran vorbei schreiben – für den Wuppertaler Abend spricht, dass diese Wirkung hier so völlig unverstellt zum Tragen kommt, denn das Team zieht an einem Strang. Regisseur und Bühnenbildner Thomas Dreißigacker sucht und findet das Heil in radikaler Reduktion der Mittel. Die Bühne ist kahl und dunkel, eine zweite Bühne steht wie ein mobiles Kasperltheater in der Mitte, zwecks Verwandlungen fahren schwarze Wände. Die Sänger bewegen in der stilisierten Logik des Albtraums und erzählen in schlichten Konstellationen vom Horror der Wiederholung und den Schatten des Verdrängten.

Der Wahnsinn kommt auf leisen Sohlen und ist umso unausweichlicher, wo kein Verismo-Aufbäumen sich wehrt.

Den Sängern gebührt Hochachtung für eine superbe Ensembleleistung, aus der Ekkehard Abele (Macbeth) und Jennifer Arnold (Lady Macbeth) herausragen. Evan Christ im Graben steuert das höchst fragile Geschehen mit der Eleganz eines Jongleurs und der Farbfinesse eines Impressionisten. Phänomenal auch das Publikum, das nicht muckste und den Abend auf der Stuhlkante verbrachte.

Macbeth (Tre atti senza nome)19:30 Uhr, Wuppertaler BühnenTicket-Hotline: 0202-5694444