: Zypern steht allein
VON KLAUS HILLENBRANDUND DANIELA WEINGÄRTNER
Um Haaresbreite haben die EU-Außenminister sich gestern in Luxemburg an einem diplomatischen Desaster vorbeimanövriert. Zypern hatte in einer Sitzung der EU-Botschafter am Freitag erklärt, es werde sein Veto dagegen einlegen, das erste Verhandlungskapitel „Wissenschaft und Forschung“ mit der Türkei am Montag abzuhandeln. Nach hektischer Geheimdiplomatie am Wochenende und weiterer Kompromisssuche am Montagmorgen gab der zypriotische Außenminister George Iacovou seine Blockade auf. „Zypern war heute sehr einsam“, sagte ein Diplomat.
Insgesamt 35 Politikbereiche müssen in den kommenden Jahren daraufhin abgeklopft werden, ob die Gesetzgebung und die juristische Praxis mit den EU-Standards übereinstimmen. Da die Union im Bereich Wissenschaft und Forschung keine Kompetenzen hat, gilt dieses Kapitel als völlig unproblematisch und kann innerhalb eines Verhandlungstages abgehakt werden.
Dennoch entstand eine Situation, die stark an die Krisensitzung in der Nacht zum 4. Oktober 2005 in Luxemburg erinnert. Damals hatte Österreich sein Veto dagegen eingelegt, dass die Vollmitgliedschaft als erklärtes Ziel am Ende der Verhandlungen stehen soll. Die übrigen 24 EU-Mitglieder waren damals in diesem Punkt einig – auch Zypern zog mit. So musste Wien schließlich einlenken.
Der Grundkonflikt um den Status des türkisch besetzten Nordens der Insel Zypern aber ist nicht aus der Welt und wird bei den kommenden, weitaus schwierigeren Verhandlungskapiteln immer wieder hochkochen. Nach wie vor blockiert die griechische Republik Zypern mit ihrem Veto im Ministerrat EU-Finanzhilfen für den türkisch besetzten Inselnorden.
Ankara rächt sich, indem es die zypriotische Republik nicht anerkennt. Zwar hat die türkische Regierung in einer Erklärung theoretisch die Zollunion auf alle 25 EU-Mitgliedsstaaten ausgeweitet. Praktisch aber verweigert sie zypriotischen Flugzeugen und Schiffen den Zugang zum türkischen Festland.
Bei der Forderung der griechischen Zyprioten nach Umsetzung des Zollabkommens geht es einerseits ums Prinzip, andererseits um viel Geld. Geld deshalb, weil die Flugzeuge der Cyprus Airways teilweise gewaltige Umwege machen müssen, denn sie dürfen die Türkei nicht überfliegen. Und weil Schiffe der zypriotischen Handelsflotte, einer der größten der Welt, nicht in türkischen Häfen anlanden können.
Wichtiger aber noch ist das Prinzip Nationalstaat: Seit dem Krieg von 1974 gibt es keine diplomatischen Beziehungen zwischen Ankara und Nikosia. Das Zollabkommen wäre der erste Schritt dazu und die Zyperngriechen fordern ihn daher beständig ein. Dann wäre die Türkei gezwungen, Beziehungen zu gleich zwei zypriotischen Ländern zu unterhalten: Der international anerkannten Republik Zypern und der von Ankara alimentierten „Türkischen Republik Nordzypern“.
Umgekehrt will die Republik Zypern unbedingt eine Aufwertung Nordzyperns vermeiden, um ihren Alleinvertretungsanspruch nicht in Frage zu stellen. Deshalb hat Nikosia bisher alle Forderungen Ankaras nach einem Ende der Isolation der Zyperntürken im Tausch gegen die Zollunion mit den Zyperngriechen torpediert.
Im Assoziationsrat mit der Türkei, der gestern ebenfalls tagte, wurde Ankara in ungewöhnlich harschen Worten aufgefordert, seine Verpflichtungen endlich einzulösen. Ende des Jahres wird die Kommission einen Bericht darüber vorlegen, ob die Türkei das Ankara-Protokoll umgesetzt hat.