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Archiv-Artikel

Von Bürger zu Bürger

LUXUS-KUNST Dramatisch inszenierte Bibelszenen, überwältigende Formate und, natürlich, schwellende Frauenkörper: Prunkvolle Gemälde des flämischen Barock zeigt das Hamburger Bucerius Kunst Forum

Prototypen Rubens’scher Üppigkeit sind nun in Hamburg in den Mittelpunkt gerückt worden

VON PETRA SCHELLEN

Wenn man so will, ein bemerkenswerter Zufall: Seit Wochen werden zwischen Hamburgs Kulturbehörde und diversen Museumsleitern Verhandlungen darüber geführt, ob Häuser aus Geldgründen für einige Zeit geschlossen werden. Parallel zu diesen Vorgängen zeigt nun das von der Zeit-Stiftung finanzierte Bucerius Kunst Forum eine Ausstellung, die an Pracht kaum zu überbieten ist: Die Exponate konnten wiederum nur ausgeliehen werden, weil das – staatliche – Antwerpener Museum für Schöne Künste geschlossen ist; wenn auch wegen Umbaus.

Oberflächlich betrachtet, könnte man sich fragen, ob die da gezeigten Künstler mit all ihren schwellenden Formen und all ihrem Pathos im angeblich so pragmatischen Hamburg funktionieren. Andererseits: Mit der Hauptkirche St. Michaelis, dem „Michel“, ist eine barocke Kirche das bauliche Wahrzeichen der Stadt. Und dann wiederum ist es mental vielleicht gar kein so weiter Weg ins damals niederländische, bürgerstolze Antwerpen, im 17. Jahrhundert wichtigstes und reichstes Handelszentrum im europäischen Norden.

„Wir wollten vor allem die Stadt- und Bürgerkultur zeigen“, sagt Kurator Michael Philipp und bewegt sich damit im Rahmen dessen, was die typische Bucerius-Besucherschaft goutiert. Ausgeklammert bleiben da die bäuerlichen Themen, die der Barock ja auch hatte. Nicht etwa, weil Philipp befürchtet hätte, sie würden nicht ankommen, sondern weil er ihnen irgendwann eine eigene Ausstellung widmen will.

Jetzt zeigt man erstmal Arbeiten von Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck, Jacob Jordaens, Jan Brueghel und Frans Snyders. Und siehe da: Was bis heute trägt, ist die Inszenierung auf diesen Bildern. Rubens’ grell beleuchtete „Kreuzabnahme“ etwa kommt mit ihren dramatisch gewandeten, ergriffen dreinblickenden Protagonisten wie ein Theaterstück. „Christus am Kreuz“, ebenfalls von Rubens, verdreht die Augen, dass sie fast aus ihren Höhlen treten. Starke Lichtkontraste und riesenhafte Bildformate treiben den Betrachter zusätzlich ins Mitleid mit dem Gekreuzigten – und die Angst vor dem Fegefeuer.

Diese Wirkung war gewollt. Denn die katholische Kirche als Auftraggeberin hatte viel zu verlieren, zur Zeit des 80-jährigen Krieges. In Antwerpen, das damals zu den Niederlanden gehörte, wurde im wesentlichen ein Kampf gegen die spanischen Besatzer geführt – und um Glaubensfreiheit. Die calvinistischen Niederländer wollten sich den katholischen Spaniern nicht beugen – und Bilder wollten sie schon gar nicht. Auf die Bilderstürme reagierte die Kirche umso drastischer: Calvinisten wurden als Ketzer verfolgt, Re-Missionierungen angeschoben – auch mit Hilfe barocker Kirchen und neuer Gemälde darin.

Die Auftragslage war also günstig für einen Künstler wie Rubens, der sich gerade erst in Italien von Caravaggios extremer Lichtführung hatte inspirieren lassen. Jordaens und van Dyck wiederum lernten bei Rubens und auch sie entwickelten jene Dramatik und Monumentalität, die sie von der klar ordnenden Renaissance unterschied.

Gezeigt wird hier also die Kunst der Gegenreformation – und des Absolutismus: Entstanden sind diese Bilder auch in der Zeit der Fürstenhöfe, einer davon stand in Brüssel, und seine Selbstinszenierung strahlte auf das bürgerliche Antwerpen.

Dessen selbstbewusste Bürger wollten mit dem Adel auf Augenhöhe verkehren. Und ließen sich entsprechend forsch porträtieren: Erasmus Quellinus und Jan Fyt etwa schufen einen zur Jagd ausstaffierten Bürgerjungen – in einer Pose also, die zuvor dem Adel vorbehalten war. Solche Kinderporträts dienten immer auch der Selbstvergewisserung: Wurde der jüngste Sohn des Clans mit Überlegenheitsgestus gemalt, beschwor das den Fortbestand der Dynastie.

Auch bei diesen Bürgerporträts wurde gezielt auf Überwältigung gesetzt: Anthonis van Dycks Reiterporträt etwa, zweieinhalb Meter hoch, lässt den Porträtierten forsch wie einen Feldherrn auf den Betrachter zu galoppieren. Dieser fühlt sich klein – darum ging es. Das Bild bekam man laut Kurator Philipp nun nur mit Mühe überhaupt in die Ausstellungsräume.

Auch antik-mythologische Themen waren beliebt bei den bürgerlichen Auftraggebern, genauer: Frauenakte, mal Venus und mal Psyche. Diese Prototypen Rubens’scher Üppigkeit und darin längst zum Klischee des Barock schlechthin verkommen, ist nun in Hamburg in den Mittelpunkt gerückt worden: Im Kreis hängen nackte Frauen um den Betrachter herum. Der ist eingeladen, inmitten der schwellenden Formen auf lila Plüsch Platz zu nehmen – fehlt eigentlich nur noch Schummerlicht.

Üppig sind auch die Blumenbilder Jan Brueghels und die Obstgemälde Frans Snyders’. Als Stillleben symbolisieren sie Überfluss – und Vergänglichkeit: Stets krabbeln irgendwo ein paar Käfer herum. Trotz aller Lust am Pomp wünschten die Auftraggeber häufig, Insignien der Vergänglichkeit auf den Bildern zu finden – damit man auf dem Teppich blieb.

Und was nimmt nun der heutige Besucher mit aus dieser Ausstellung? Kaum den Appell, Kunst nicht als Luxus zu betrachten. Die Aufforderung an Staat und Bürger, Kunstschaffen zu ermöglichen? Zu sehen sind hier fast durchweg der Selbstdarstellung dienende Auftragswerke: vergangene Fülle, fußend auf dem Reichtum von Kirche, Fürsten und Großbürgertum. In künstlerisch unbestrittener Qualität.

bis 19. 9., Hamburg, Bucerius Kunst Forum