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Archiv-Artikel

Die Spitzel sind außer Kontrolle

Laut Innenverwaltung wurde der Politologe Grottian versehentlich vom Verfassungsschutz bespitzelt. Im Geheimdienstjargon heißt das: Es ist leider herausgekommen. Das Amt bleibt reformresistent

VON OTTO DIEDERICHS

Der Berliner Verfassungsschutz gilt gemeinhin als reformiert. Seit der Jahrtausendwende wurde die einst als forsche Spitzeltruppe verschriene Behörde an Haupt und Gliedern umstrukturiert und streng demokratisch kontrolliert. Umso mehr mag die am Wochenende bekannt gewordene Sammelwut der Behörde überraschen.

Bereits seit dem Jahr 2003 steht Peter Grottian, Politologieprofessor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. „Da sind Fehler gemacht worden“, hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) inzwischen öffentlich eingestanden – nachdem anfangs von offizieller Seite noch jede Beobachtung des Professors geleugnet wurde. Natürlich, so lautet nun die offizielle Darstellung, haben die Hauptstadt-Schlapphüte ihre Spitzel nicht direkt auf Grottian angesetzt. Vielmehr sollten sie linksradikale und Antifa-Gruppen ausspionieren, die sich in dem von Grottian mitgegründeten „Berliner Sozialforum“ herumtreiben. Dabei sei der engagierte Politologe dummerweise mit ins Visier geraten.

Diese Standardformel gilt immer dann, wenn in der Welt der Geheimdienste etwas „aus dem Ruder gelaufen“ ist. Im Jargon der Schattenkrieger heißt dies: Es ist herausgekommen.

Um den Rückfall in alte Zeiten zu verstehen, ist eine Rückblende ins Jahr 1989 notwendig. SPD und Grüne (damals noch Alternative Liste) hatten überraschend die Abgeordnetenhauswahlen gewonnen. Innensenator der rot-grünen Regierung wurde Erich Pätzold (SPD), der zuvor selbst Opfer verfassungsschützerischer Ausforschung geworden war. Er machte sich als Erster daran, im traditionell skandal- und krisengeschüttelten Landesamt aufzuräumen.

Der damalige Amtschef wurden entlassen und etliche Beamte in der Verwaltung umgesetzt. Mehrere Untersuchungsausschüsse folgten ebenso wie ein öffentlich tagendes parlamentarisches Kontrollgremium – der noch heute bestehende „Ausschuss für Verfassungsschutz“ (VSA).

Hier berichtete Pätzold in vierzehntägigem Turnus und so offen wie irgend möglich über den aktuellen Stand seiner Reformbemühungen und der dabei auftretenden Schwierigkeiten. Sitzungen im so genannten „Geheimschutzraum“ waren die Ausnahme. Entsprechend groß war das Medieninteresse an den VSA-Sitzungen. Allein es währte nicht lange. Mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 war Rot-Grün auf Berliner Landesebene schon wieder am Ende.

Fortan stellte wieder die CDU die Innensenatoren. Mehrmals wurden seither sowohl das Verfassungsschutzgesetz wie auch das des -ausschusses geändert. Aus war’s mit der bisherigen Offenheit, bei den Schlapphüten stellte sich wieder der alte Unterschleif ein. Dies ging so lange, bis die neuen Affären zu dicht an Innensenator Eckart Werthebach (CDU) selbst heranrückten. Dann stand wieder eine neue Reform an.

Aus dem Landesamt für Verfassungsschutz wurde eine Abteilung des Innensenates. Das erleichtert den direkten Durchgriff des Senators. Neue Abteilungsleiterin wurde am 2. Januar 2001 Claudia Schmid. Werthebachs erste Wahl war sie nicht, doch alle übrigen Kandidaten hatten abgewunken. Dennoch war die Entscheidung für Schmid politisch recht geschickt. Als damalige stellvertretende Datenschutzbeauftragte Berlins war sie der Sympathien mit den im Geheimen Operierenden unverdächtig. Zudem hatte sie aus jener Zeit, als Berlin noch ein Akteneinsichtsrecht hatte, das seinen Namen verdiente und von vielen auch genutzt wurde, hinreichende Erfahrungen mit der Sammel- und Geheimhaltungswut ihrer neuen Mitarbeiter.

Umgehend machte sie sich daran, ihre Abteilung komplett umzukrempeln. Kaum einer der altvorderen Verfassungsschützer behielt seinen Job. Schmid holte sich, häufig von Universitäten, junge, unbelastete Leute ins Amt, um die intellektuellen und analytischen Fähigkeiten des Berliner Verfassungsschutzes zu stärken. Zum „Politikberatungsinstrument“ – auch eines der Lieblingsworte dieses Gewerbes – sollte er werden. Derweil standen die Werber des Bundesamtes bereits vor dem Behördeneingang und nahmen etliche der gerade Geschassten unter Vertrag.

Zwar war der damalige Weg Schmids richtig. Doch erstaunlich schnell haben sich die Schlapphutfrischlinge offenkundig in die Sitten und Gebräuche im Nebelreich des Geheimen eingefunden. Insoweit muss man Peter Grottian wohl Recht geben, wenn er von einer „strukturellen Reformunfähigkeit“ solcher Apparate spricht.

Doch nicht nur Claudia Schmid und Innensenator Körting, als oberster Dienstherr, sind gescheitert. Versagt hat auch der zuständige Ausschuss des Abgeordnetenhauses. Wenn dessen Sitzungen heute bestenfalls alle vier Wochen und mit zahnlosen Parteienvertretern stattfinden, kann von Kontrolle keine Rede sein. Nirgendwo langweilen sich die wenigen anwesenden Journalisten mehr als hier. Laute Empörungsrufe aus diesem Gremium über die Grottian-Bespitzelung sind daher unangebracht.

Wieder einmal hat sich gezeigt, dass die geheimen Krokodile ihre parlamentarischen Dompteure noch stets gefressen haben. Radikale Veränderungen sind also auf beiden Seiten notwendig. Eine Abschaffung von Geheimdiensten, wie sie von Grottian und anderen verlangt wird, steht spätestens seit dem 11. September 2001 nicht mehr auf der politischen Agenda. Und leider weiß man nicht einmal mehr, ob diese Forderung überhaupt noch richtig ist.