Fröhliche, verlotterte Adelige

POP Almut Klotz zeigte, dass Spaß nicht theoretisch ist. Zum Glück. Man glaubte ihr alles

■ Almut Klotz zog 1985 aus dem Schwarzwald nach Berlin. Mit Funny van Dannen und Christiane Rösinger gründete sie die Lassie Singers. Klotz war Mitbetreiberin des Labels Flittchen Records und Leiterin des Popchors Berlin.

VON CHRISTOPH BRAUN

Wie eine Figur aus einer fiktiven Geschichte, die der Realität die Hand schüttelt. So kam mir Almut Klotz vor, als ich sie kennenlernte. Nicht, dass Almut zu jenen Menschen zählte, vor denen man ehrfurchtsam erstarren muss. Ihre Eleganz war von jener Beiläufigkeit, die auch das Herzliche fest umfasst. Allerdings hatte ich damals bereits eine derart lange Geschichte mit der Figur Almut Klotz, dass es mir schwerfiel, mir vorzustellen, es hier mit einem echten Menschen zu tun zu haben. Dieser Mensch, Almut, ist im Sommer gestorben, in gelöster Verfassung, trauernd allerdings um jene, die sie zurücklassen musste. Das hat sie zu verstehen gegeben: Sie schmerze der Verlust, der ihr Ableben den anderen bedeuten würde.

Sie wird vor allem als Teil der Lassie Singers in Erinnerung bleiben. Keine Band, die mit einem Paukenschlag in das Leben eines angehenden Soziologiestudenten zu treten vermochte. Langsam schlichen sie sich ein, zuerst ins Ohr, um sich dann später weiterzuschlängeln in die Herzen, Seelen oder Ohrläppchen. Soziologiestudenten liebten Techno wegen des Rituellen, HipHop wegen der zu entziffernden Codes und Diskursrock wegen der nicht entzifferbaren Codes. Was die Lassie Singers in die Pop-Landschaft brachten, war brachiale Alltagstrunkenheit.

Rumfahrn. Waren wir schon in Frankfurt. Pause. (Nein, geht nicht.) Dreh mal die Kassette um. Die Landschaft hier ist fucking brill.

Das lässt sich anhand der Coverversion „Loswerden“ erzählen. Im Original der Band „Die Regierung“ klingt das Lied traurig, etwas schleppend: „Ich glaub’, ich hab’ aufgehört, dich zu lieben.“

Ganz anders bei den Lassie Singers. Sie kontern das Nuschel-Leiden: Aus ihren Kehlen gehen die gleichen Zeilen direkt ins Gesicht, mit unverfrorener Fröhlichkeit. Sie waren gekommen, um zu zeigen, dass Spaß nicht theoretisch ist, und alles andere im Leben auch nicht. In „Männliche Mitmenschen XY ungelöst“ verspotten sie ihre Lebenswelt-Kollegen mit: „Es ist ja nett von euch, dass ihr euch in uns reinversetzen wollt.“ Sie wussten alles, kannten alle Diskussionen, und nahmen in Kauf, inmitten all dieser elaborierten Texte übersimpel oder plump zu klingen. Das könnte man auch über Almut sagen: Sie vermittelte den Eindruck von wissender Einfachheit.

Unfall. Wie viele Tage müssen wir noch. Gewitterhimmel.

Als sie bereits meine Chor-Chefin war, begegneten wir uns zufällig und gingen gemeinsam einen Kaffee trinken. Dabei erzählte sie mir von dem Buch, das sie gerade schrieb, als Ghostwriterin: Die Memoiren einer Wahrsagerin. Almut zeigte sich überrascht darüber, wie ungebildet diese Wahrsagerin war. Sie hätte vieles, was sie vorhersagte, gar nicht wissen können. Ich habe das Buch später gelesen und kann behaupten, dass ich Almut alles glaube, was sie dieser Frau geglaubt hat. Man glaubte Almut Dinge! Und wie überzeugend sie für diese Wahrsagerin schreiben konnte, spricht für die Offenheit, mit der sie dieser begegnet war.

Im Radio läuft HR3. Frankenhöhe Schnitzelalarm. Superplus und dann nichts wie rauf nach – Hamburg.

Die Lieder der Lassie Singers bedeuteten mir zunehmend mehr. Mit jedem Lassie Singers hörenden Freund und jeder Lassie Singers hörenden Freundin wuchs das Verstehen. Lassie Singers singen, zum Aufwärmen vor eigenen Konzerten. Lassie Singers anderen auf Kassetten aufnehmen, weil sie nach „Hamburg“ ziehen. Lassie Singers in Schottland singen und in Berlin, im Mauerpark, schaukelnd.

Sie waren die lustigsten großen Schwestern im Geiste, auch nach dem Ende der Lassie Singers. Vieles folgte: Christiane Rösinger gründete die Band Britta, sie und Almut betrieben das Label Flittchen Records und die Unterhaltungsgala „Flittchenbar“, Almut spielte kurzzeitig bei den Bands Maxi unter Menschen und Parole Trixi mit.

All das genügte Almut, der Freunde einen Hang zum verlotterten Adel bescheinigten, nicht. Sie gründete den Popchor Berlin. Der war ohne musikalische Aufnahmebeschränkungen. Obwohl sie ein Popstar war, zumindest in den Großstädten und einer der halben Unterwelt. Und obwohl sie musikalisch blitzsauber ausgebildet war, das Erbe einer katholische Kindheit mit Kirchenorgel und Kirchenchor. Der Popchor war eher so ein Vibe-Ding, wie Almut ja auch eher so ein Vibe-Mensch war. „Das muss Spaß machen“, dachte ich nach einem Auftritt des Chores in der Volksbühne, und so lernte ich sie kennen.

Rechts ist ein Baggersee? Keine Zeit. Keine Zeit. Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß.

Wir rappten Missy Elliotts „For My People“, obwohl das kaum gemeinsam zu schaffen war, hatten Schwierigkeiten mit den Tonhöhen von Blur-Songs und sangen New-Wave-Klassiker. Tatsächlich, es machte Spaß. In all die Freude eine Nachricht, vor ein paar Jahren schon: Almut hatte Krebs. Das war hart. Noch schlimmer, als die Krankheit vor einiger Zeit erneut ausbrach.

Den Chor gab es da nicht mehr, dafür machte Almut mit ihrem Lebenspartner Reverend Christian Dabeler Musik. Dramen wie aus dem 19. Jahrhundert. „Lass die Lady rein“ heißt das zweite und letzte Album. Almut starb überraschend in jener Woche, in der es erscheinen sollte. „Im Grunde deines Wesens bist du ein schmutziger Charakter“, singt sie da mit Dabeler gemeinsam. Darauf folgt aber gleich die Zeile: „Im Grunde meines Wesens fand ich’s sehr, sehr schön.“ Ich fand es auch sehr schön mit ihr. Und dafür bin ich dankbar.

Die eingeschobenen Zeilen stammen aus dem Lied „Hamburg“ von den Lassie Singers.