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Archiv-Artikel

Margaret Thatcher

Politikerin. 13. Oktober 1925 – 8. April 2013

VON FRITZ STERN

Ich habe Margaret Thatcher einmal im kleinen Kreis erlebt: Sie hatte mich und einige andere Historiker zu einer Diskussion über die mögliche deutsche Wiedervereinigung auf den Regierungssitz nach Chequers eingeladen. Wir verbrachten dort einen ganzen Tag, Thatcher selbst hat uns Drinks gemixt.

Thatcher war eine eindrucksvolle und selbstsichere Frau, außerdem oft sehr charmant. Zugleich war sie entschieden in ihren Meinungen – und in ihren Vorurteilen. Das Antideutsche saß tief bei ihr. Mein Eindruck war, dass es zurückging auf den Ersten Weltkrieg. Thatcher hat England und die Machtverhältnisse dort verändert. Ein Teil davon war notwendig, und sie hat einiges erreicht. Aber meines Erachtens hat sie das Maß verloren und viel Schaden angerichtet. Sie hatte sich dem sogenannten Neoliberalismus völlig verschrieben, für sie war das beinahe etwas Heiliges, ein Götzendienst am freien Markt. Ihr berühmtes Wort „There is no such thing as society“ ist eine entsetzliche neue Form von Sozialdarwinismus. Damit geben Staat und Gesellschaft die Verantwortung für Vernachlässigte und Benachteiligte auf. Ein solches Loblied auf den Einzelnen führt zur Atomisierung der Gesellschaft.

Kritisch sehe ich bei Thatcher auch ihr besonderes Verhältnis zu Ronald Reagan, ein bedauerliches Zusammengehen. Sie hat diesen Mann, der gar nicht so ideologisch gedacht hat, mit ihren antisozialen Gedanken der Verweigerung von Regierungsverantwortung beeinflusst. Das war für die USA sehr schädlich. Ich habe immer von der Reagan-Thatcher-Ära gesprochen, die auch für Europa ein unglückliches Erbe war. Ihr mangelndes Verständnis für Europa war ein weiterer Makel. Allerdings hat sie die Außergewöhnlichkeit von Gorbatschow sofort erkannt.

Und bei aller Kritik: Als Mensch muss ich Thatcher anerkennen als eine Frau, die sich unter enormen Schwierigkeiten durchgesetzt hat. Zweifellos gehört sie zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Hinblick auf Macht sind Maß und Verantwortungsethik aber sehr wichtig – und die fehlten Thatcher oft.

Fritz Stern, 87, ist Historiker und beriet Margaret Thatcher 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands