piwik no script img

Archiv-Artikel

Holzwickede ist ein Tor zur Welt

Ruhrpott ganz nah, volkstümlich, schön provinziell, weltläufig: Im „World Cup Camp“ zwischen Flughafen und Gewerbegebiet zelten bis zu 2.000 Fans aus fast allen Ländern. Und genießen das WM-Turnier, wie es sich gehört: friedlich und aufgeregt

AUS HOLZWICKEDEBARBARA BOLLWAHN

Es gibt Orte, die haben bereits mit dem Anpfiff der WM gewonnen. Keinen goldenen Pokal, dafür an Bekanntheit. Holzwickede ist so ein Ort. Tausende Fußballfans aus dem In- und Ausland werden mit der Erinnerung an verlorene und gewonnene Spiele Erinnerungen an die Gemeinde zwischen Dortmund und Unna, zwischen Flughafen und Autobahn, nach Hause nehmen.

Zu einer gewissen Bekanntheit brachte es die 18.000 Einwohner zählende Gemeinde 1999 in dem Ruhrpottmilieufilm „Bang Boom Bang“, in dem Til Schweiger mit einem Trikot des „SV Holzwickede“ rumläuft. Außerdem betreibt der ehemalige Nationalspieler Dieter „Hoppy“ Kurrat, 1966 mit Borussia Dortmund Europapokalsieger, dort die Gaststätte „Hoppys Treff“. Doch jetzt hat Holzwickede endlich Anschluss an die große Welt gefunden. Mit dem „World Cup Camp“, einer Zeltstadt, in der Fans für 18 Euro übernachten können. Das erste Wochenende der WM war mit gut 2.000 Übernachtungen ausgebucht.

An Holzwickedes Rand, hinterm Gewerbepark, am Ende einer Schotterpiste, liegt der Zeltplatz. Mittelpunkt ist die sogenannte Fressmeile, ein überdachtes Rund aus Bierbänken und -tischen mit Grillständen und Bier, in der Mitte drei Bildschirme. Drum herum gibt’s alles, worauf es in diesen Tagen ankommt: Toilettenhäuschen mit Duschen, T-Shirts und Fahnen, ein Kondomautomaten, eine mobile Frisörstation namens „Haartaxi“, in der Frisörmeisterin Katja für 1 Euro Flaggen auf die Backe malt und für 15 Euro die Haare in den Farben der Lieblingsmannschaft koloriert.

Dieser Ort im Nirgendwo könnte trostlos sein, jawoll. Ist es aber nicht. Selbst an stilleren Tagen entspannen sich bis zu eintausend Fans am Rande des Flughafens, wo an Gitterzäunen Fahnen aller Nationen hängen: Schweden spielen vor ihrem Zelt Fußball, Engländer kurieren in aufblasbaren Sesseln Räusche aus, Japaner verfolgen konzentriert das Spiel Ecuador gegen Costa Rica, eine Gruppe Schweizer starrt auf einen Fernseher im hinteren Teil ihres Wohnmobils. Camp-Mitarbeiter in dunkelgrünen T-Shirts schlendern über das Gelände, unterstützt von einer Polizeistreife, die sich über „keinerlei Vorkommnisse“ freut.

Doch nicht nur die weite Welt ist zu Gast in Holzwickede, sondern auch die kleine Welt, die deutsche Provinz. So wie Denis Schuler, 35, und Dirk Schmidt, 36, aus Großrosseln bei Saarbrücken, einem Ort halb so groß wie Holzwickede. „Wir feiern hier komplett friedlich mit anderen Nationen, ohne Pöbeleien und Ausschreitungen“, freut sich Denis Schuler, noch geschafft vom Spiel Deutschland gegen Polen, für das sie Stadionkarten hatten.

Die beiden fallen auf. Sie haben sich auf den Hinterkopf einen schwarzen Bundesadler rasieren lassen, links flankiert von Sternen in Schwarz, Rot und Gold und rechts von einem Schweif in den gleichen Farben. „Der Bundesadler stand schnell als Motiv fest“, erzählt Schuler. 60 Euro haben sie bei einem Frisör in Frankreich bezahlt. Heutewerden sie einen kurzen Heimattrip einlegen, bevor es weiter nach München und Berlin geht. Sie müssen morgen einen Tag arbeiten, und viel wichtiger, sie haben heute einen Termin – zum Nachfärben und Nachrasieren in Frankreich. Das trauen sie dem „Haartaxi“ in Holzwickede dann doch nicht zu.

Der Betreiber der Zeltstadt, ein Geschäftsmann und Fußballfan aus Rheinland-Pfalz, hat neben Holzwickede noch zwei Zeltstädte, in Leipzig und Schwäbisch Hall/Ilshofen. Ein Standort im Brandenburgischen war am Widerstand der Dorfbewohner gescheitert. Nicht so in Holzwickede. Dort sind alle begeistert. Rentner und junge Familien kommen vorbei und freuen sich über die freundliche Atmosphäre. So wie der 59-jährige Karl-Heinz Körner, ein schnauzbärtiger Rohrzieher: „Ich bin sehr stolz, dass wir uns von unserer guten Seite zeigen können.“

Der Wahnsinn in Holzwickede hat noch lange kein Ende. Am 29. Juni, einem spielfreien Tag, tritt die Spielervereinigung Holzwickede im heimischen Emscherstadion zu einem Freundschaftsspiel gegen eine Auswahl des Films „Das Wunder von Bern“ an: noch ein kultureller Höhepunkt.