: Vater, Sohn und das heilige Geld
AUS BIELEFELD UND FRANKFURT/MAIN PHILIPP GESSLER
Dies ist eine Männer-Geschichte. Es geht um Väter, Söhne – und um Überväter. Frauen spielen hier kaum eine Rolle, und das merkt man der Geschichte an. Von viel Geld wird die Rede sein, von Verrat und von Kälte. Vor allem aber geht es um Distanz in dieser Geschichte. Sie beginnt in Bielefeld.
Es gebe ja die Theorie, sagt Christopher Kopper beim Empfang am Bahnhof, dass Bielefeld gar nicht existiere – er lacht trocken und kurz. Kopper, Jahrgang 1962, wird dies noch häufig an diesem Tag tun. Unscheinbar sieht der Historiker aus: Brille, hagere Gestalt, unauffällige Kleidung, auf die er offenbar wenig Wert legt. Vielleicht muss das so sein bei Wissenschaftlern wie ihm. Deren Glanz findet sich in ihren Büchern. Und Kopper hat ein gutes, teilweise glänzendes geschrieben: eine Abrechnung mit dem Metier seines Vaters in der Nazizeit. Christopher Kopper ist der Sohn von Hilmar Kopper. Der war acht Jahre lang Chef des größten deutschen Bankhauses, der Deutschen Bank, und ist noch heute der mächtige Aufsichtsratsvorsitzende des DaimlerChrysler-Konzerns.
Christopher Kopper bittet in seinen skandinavischen Mittelklasse-Wagen – der rechte Außenspiegel hängt nur noch dank einer gewagten Tesafilm-Konstruktion an der Karosserie. Es geht, auf Koppers Vorschlag hin, zu einem Chinarestaurant, gelegen an einer Ausfallstraße und gesichtslos wie die ganze Stadt. Das Gespräch kreist um die Bankiers des Nazi-Regimes, darum, wie sie jüdische Kollegen, ja Chefs meist eilfertig abservierten, sobald die Braunen an die Macht kamen. Nicht, weil sie die NS-Ideologie unbedingt teilten. Sondern weil sie Opportunisten waren. Weil es doch um Geld ging – wo die Freundschaft bekanntlich aufhört.
Nein, die Bankiers, erklärt Kopper, haben die Nazis nicht an die Macht gebracht, wie linke Historiker schrieben, aber sie profitierten von „Arisierungen“ jüdischen Eigentums, von der staatlich verordneten Auflösung der Konten jüdischer Kunden. Ebenso von der Eroberungen der Wehrmacht in Europa, teilweise auch vom Genozid, wie für die Dresdner Bank und Auschwitz nachweisbar ist. Es ging um viel Geld, Verrat und Mord – Christopher Kopper erzählt davon bei einem schlichten Fleischgericht, kühl, sachlich. Wie es Historiker eben so tun. Dabei geht es doch zumindest indirekt auch um seinen Vater. Oder nicht? Jedenfalls geht es um Abs, immer wieder um Abs.
Hermann Josef Abs war für viele Westdeutsche eine Ikone der Nachkriegszeit, ein Vertrauter Konrad Adenauers, wie dieser ein Symbol des Wirtschaftswunders und bis 1976 Aufsichtsratschef der Deutschen Bank. Schon während der Nazizeit war Abs als Vorstandsmitglied dieses altehrwürdigen Bankhauses in Spitzenpositionen des deutschen Bankenwesens tätig, ganz oben, dort, wo die Luft dünn wird. Obwohl Vorstandsmitglied der IG Farben und laut Kopper einer der „bestinformierten Männer der deutschen Wirtschaft“, betonte Abs stets, ihm sei von Auschwitz nichts bekannt gewesen.
Abs hatte Kontakte zum vor allem christlich motivierten Widerstand des „Kreisauer Kreises“, aber er ließ sich „bewusst nicht in die Planungen des Staatsstreiches gegen Hitler einweihen“, so Kopper. Gern erzählte Abs die Anekdote, er habe einmal in einem kleineren Kreis ironisch gesagt: „Um wie Napoleon Russland anzugreifen, genügt ein Sextaner, aber um so wie der Führer Russland anzugreifen, braucht es ein Genie.“ Abs wurde denunziert, entkam im Gestapo-Verhör aber mit der rhetorischen Frage: „Meine Herren, zweifeln Sie etwa am Genie des Führers?“ Christopher Kopper hat diese Geschichte von seinem Vater gehört: „Diese Begebenheit erzählte Hermann Josef Abs Ende der 80er Jahre dem Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Hilmar Kopper“, schreibt Christopher in einer Fußnote seines Buchs – dass dieser Kopper sein Vater ist, erwähnt Christopher mit keinem Wort.
Schon als junger Mann lief Christopher, seit 25 Jahren aktives Mitglied der SPD, durch seine Heimatstadt Kronberg im Taunus. In diesem Milieu aus Chefärzten, Bankern, Juristen und Lehrern, wie er es schildert, nahm Christopher mit einem Kassettenrekorder Geschichten über den lokalen Widerstand in der NS-Zeit auf. Sein Vater habe nichts dagegen gehabt, erzählt er. Vor elf Jahren promovierte Christopher über die „Bankenpolitik im ‚Dritten Reich‘“ – arbeitet er sich mit diesem Thema an seinem Vater ab? Christophers Sätze werden komplizierter: Dem Vater falle es nicht schwer, über diese Schuld der Banken zu reden. Diskussionen darüber entziehe er sich nicht. Fragt man nach dem Verhältnis zu seinem Vater, sagt Christopher, es sei „räumlich distanziert“ und „nie von kritikloser Bewunderung geprägt“, aber insgesamt schon warm und nahe. Nach 38 Ehejahren trennte sich Hilmar Kopper 1999 von Christophers Mutter Irene und heiratete 2003 die Brandt-Witwe Brigitte Seebacher-Brandt.
Das Essen ist zu Ende, Christopher protestiert nicht dagegen, eingeladen zu werden. Er wohnt gegenüber in einem schmucklosen Mehrfamilienhaus, an dem ein Bach vorbeifließt. Die kleine Wohnung, in die er noch auf einen Kaffee einlädt, besteht im Wesentlichen aus einem Wohnzimmer. Sein Vater war hier auch schon einmal zu Besuch, erzählt er. Auf dem Balkon vertrocknet eine Palme. In seinem winzigen Büro, vollgestellt mit billigen Bücherregalen, holt Christopher eine Festschrift für seinen Vater zu dessen 60. Geburtstag hervor. Christopher Kopper hat an ihr mitgearbeitet: Hilmar Kopper wird darin durch Beschreibungen der Orte, wo er wirkte, gewürdigt. Das sei wie beim Foucault’schen Verschwinden des Subjekts, meint Christopher und lacht, trocken und kurz. Hat er seinen Vater jemals zur Geschichte der Deutschen Bank in der Nazizeit befragt? „Es war einfach, allgemein über den Nationalsozialismus zu reden“, sagt Christopher. „Schwierig war das Konkrete.“
Beschreibt dies das Verhältnis zwischen Hilmar und Christopher Kopper: Distanz halten vor den großen Gefühlen – sei es im Beruf, sei es in der Familie? Sind die historischen Quellen des einen nicht so kalt wie die Zahlen des anderen? Und funktioniert so die Kommunikation zwischen Vater und Sohn, indirekt: eine Festschrift über die regionalen Stationen des Vaters, eine Dissertation über die Profession des Vaters, eine Publikation über die Mentoren des Vaters? Ein Vatermord auf Umwegen?
Schaut man genauer hin, hat die deutsche Bankengeschichte des 20. Jahrhunderts etwas Dynastisches, gleich einer Kette, die bis in die Nazizeit reicht: Hjalmar Schacht, der frühere Reichsbankpräsident Hitlers, protegierte den jungen, unstudierten Karl Blessing, den späteren Bundesbankpräsidenten. Hermann Josef Abs förderte schon vor 1945 seinen persönlichen Referenten Franz Heinrich Ulrich, der in den späten 60er-, frühen 70er-Jahren Vorstandssprecher, also Chef der Deutschen Bank war. Ulrich schließlich „entdeckte“ den jungen, ebenfalls unstudierten Hilmar Kopper, wie er erzählt. Ulrich sei sein Vorbild gewesen, sagt Hilmar Kopper. Und Abs taucht auch wieder auf.
Hilmar Kopper sitzt im 29. Stock des rechten Deutsche-Bank-Towers in Frankfurt am Main. Es ist das Büro, das früher Abs und später Josef Ackermann gehörte. Der führt jetzt die Deutsche Bank, wurde mit einem Victory-Zeichen berühmt und will trotz Milliardengewinns zehntausende Stellen streichen. Der Blick auf Frankfurt an diesem klaren Tag ist atemberaubend. Dort unten am Taunus, sagt Hilmar Kopper, liege Kronberg.
Der alte Abs, erzählt Hilmar Kopper, habe ihn als eine Art Ziehenkel behandelt. So konnte es passieren, dass Abs am Samstagnachmittag anrief und zum Wein lud. Da sei er natürlich hingefahren, auch wenn er lieber bei seiner Familie geblieben wäre, sagt Hilmar Kopper. Aber zum alten Abs zu gehen, sei doch ein Gebot des Anstands gewesen. Das Bankenwesen scheint voller Vater-Sohn-Geschichten zu sein.
Im Flur dieser 29. Etage hängt ein Max Beckmann, im Fahrstuhl liegt ein Teppich. Hilmar Kopper ist keineswegs distanziert oder kühl, vielmehr freundlich, präzise und gelassen. Er nimmt sich Zeit, sein dunkelblauer Anzug sitzt perfekt. Weder Blessing noch Abs habe er jemals Fragen zur NS-Zeit gestellt: „Ich hatte keine Fragen zu stellen“, sagt Hilmar Kopper, das sei ihm auch „nicht in den Sinn gekommen“. Mit Angst um seine Karriere habe das nichts zu tun gehabt, sagt Kopper, der 1954 als Lehrling bei der Deutschen Bank anfing. Im Terrorjahr 1977 schaffte er es in deren Vorstand, bevor er 1989 – nach der Ermordung seines Vorgängers Alfred Herrhausen durch die RAF – Vorstandssprecher der Deutschen Bank wurde. Abs war damals noch deren Ehrenvorsitzender. Ab und zu erzählte er auch von der Nazizeit – „aber er mochte es nicht, wenn man insistierte“, sagt Hilmar Kopper. Eher habe man über Kunst geredet.
Im Großen und Ganzen verteidigt Hilmar Kopper das Verhalten von Abs und Co. in der Nazizeit – manchmal rutscht er sogar vor lauter Identifikation mit dem damaligen Vorstand in ein „Wir“ und „Uns“. Das seien eben Kaufleute gewesen: „Das Unrechtsbewusstsein und der böse Vorsatz, jemanden zu schädigen, war nach meiner Einschätzung nicht vorhanden.“ Aber viel Unrechtsbewusstsein entstehe ja auch dadurch, „wer gewinnt“. Die Gewinne der Bank etwa durch Arisierungen seien „deutlich weniger als peanuts“ gewesen, sagt er mit einem feinen selbstironischen Lächeln. Die Deutsche Bank unter Hilmar Kopper war das erste deutsche Großunternehmen, das seine Geschichte in der Nazizeit von unabhängigen Historikern aufarbeiten ließ.
Hat er die Forschungen seines Sohnes über die Banken in der NS-Zeit als indirekten Angriff gegen sich empfunden? Nein, antwortet Hilmar Kopper, da sei er „wie jeder Vater“, vielmehr „stolz, wenn einem Kind etwas gelingt“. Die Diskussionen mit seinem Sohn zu Hause waren damals „erwünscht“, sagt er, „das wurde ermuntert“. Denn: „Einen eigenen Standpunkt zu haben, das galt was.“ Irgendwann habe aber auch mal Schluss sein müssen mit den Diskussionen. So ist das unter Männern, zwischen Vater und Sohn. Es ist auch ein deutsches Schweigen.
Sein Sohn Christopher, sagt Hilmar Kopper, habe sich mit seinem Thema nicht an ihm abgearbeitet: „Was sollte er abarbeiten?“ In die Geschehnisse der NS-Zeit sei er, Hilmar Kopper, doch gar nicht involviert gewesen. Das Verhältnis zu seinem Sohn sei „warm, aber respektvoll“. Keiner versuche, „uneingeladen“ dem anderen „zu nahe zu kommen“. Mehr zu erfahren ist nicht. Andere Termine warten. Dann erklärt Hilmar Kopper noch ein Kunstwerk, das mitten im Büro steht: einen Steinblock aus Indien, der mit Tönen beschallt wird. Manche, sagt Kopper, die Hände auf dem Stein, den Blick gen Taunus gerichtet, meinten, die Töne zu spüren. Aber das sei nur Einbildung.