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Archiv-Artikel

Ein Tag für Rebellen und Merkel-Retter

Die Ministerpräsidenten der Union nutzen die Abstimmung über Mehrwertsteuererhöhung für Showeinlagen. Roland Koch verteidigt die unpopulären Beschlüsse der Bundesregierung gegen den Parteifreund Jürgen Rüttgers. Die SPD verdrängt ihre inneren Konflikte lieber

BERLIN taz ■ Es war der große Tag der Ministerpräsidenten. Endlich, endlich schien das Schicksal der Republik von ihnen abzuhängen. Zum ersten Mal, seit in Berlin die große Koalition regiert, durften sie eine wichtige Entscheidung fällen. Gefragt waren vor allem die Vertreter der Union, die im Bundesrat die Mehrheit stellen: Kommt die größte Steuererhöhung seit 1949 oder nicht?

Wer so etwas Unpopuläres beschließen soll, gerät in Versuchung, Nein zu sagen oder zumindest so zu tun, als falle ihm ein Ja ganz furchtbar schwer. Und so wurden bis kurz vor der Abstimmung wüste Drohungen ausgestoßen. Die Ministerpräsidenten taten alles, um vor der Mehrwertsteuer noch die Spannung zu erhöhen. Die Entscheidung, raunten sie, stehe „Spitz auf Knopf“. Nun ja.

Um 11.15 Uhr war die Show wie auf Knopfdruck vorbei. Auch im Bundesrat hatte sich eine Mehrheit gefunden, die das Gesetzespaket des Bundestags abnickte. Die Mehrwertsteuer steigt von 16 auf 19 Prozent. Genau wie von Anfang an, das heißt: seit der Großen-Koalitions-Vereinbarung im Herbst, geplant. Als einzige Belohnung für ihre Zustimmung holten die Länder heraus, dass der Bund die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs um 500 Millionen Euro weniger kürzt als vorgesehen.

Der erste Aufstand gegen Angela Merkel blieb also aus. Interessant war das Verhalten der Ministerpräsidenten trotzdem, weil es Aufschluss darüber gab, wer der Kanzlerin mit Freude Ärger machen möchte – und wer nicht.

Eigentlich hätten die SPD-Ministerpräsidenten die größten Probleme mit ihrem Ja haben müssen – schließlich lehnten sie die höhere Mehrwertsteuer im Wahlkampf noch kategorisch ab. Doch sie steckten ihren Anteil an den neuen Steuereinnahmen nun lautlos ein und überließen es Finanzminister Peer Steinbrück, die Kehrtwende der SPD zu begründen. Der hat ja darin inzwischen Übung. Was Steinbrück einst als konjunkturpolitisch katastrophal bezeichnete, nennt er nun „alternativlos“. Anders könne man den Haushalt nicht konsolidieren. Dass Steinbrück trotz der Haushaltsnöte die Unternehmensteuern drastisch senken möchte? Für ihn kein Widerspruch. Auch die SPD-Kollegen übten keine Kritik daran. Die inneren Konflikte, die der Partei bevorstehen? Verdrängt. Der Protest der Linken dürfte bald genug aufkommen.

So wurden gestern nur in der Union die Reihen neu sortiert. Die einen präsentierten sich als Rebellen und Helden aller Steuerzahler, andere als Retter der Kanzlerin. In dieser Rolle trat vor allem Roland Koch auf. Der hessische Ministerpräsident warf den Gegnern der Steuererhöhung vor, sie würden die Haushaltslage „nicht angemessen“ würdigen. Die Behauptung, das Geld ließe sich auch durch Einsparungen hereinholen, sei „nicht korrekt“. Der merkeltreue Auftritt passte zu seinen Karriereplänen: Koch kündigte gestern an, er wolle im November CDU-Vize werden.

Wen Koch mit seiner Kritik meinte, war auch klar: Jürgen Rüttgers, den neuen Robin Hood der Steuerzahler. Der Nordrhein-Westfale polterte am lautesten – aus eigenem Antrieb, ohne Not. Wie seine CDU-Kollegen, die mit der FDP regieren, hätte sich Rüttgers damit begnügen können, sich der Stimme zu enthalten. Doch Rüttgers, der die Mehrwertsteuererhöhung in den Parteigremien abgesegnet hatte, machte sich nun den Widerstand der Liberalen (und der Linkspartei) zu Eigen. Die Mehrwertsteuer belaste die Menschen, ließ Rüttgers via Bild wissen, Sparen wäre besser.

Bei so viel steuerpolitischem Hickhack ging die Protestnote der unionsregierten Länder gegen das Antidiskriminierungsgesetz fast unter. Die Bundesregierung jedenfalls sah gestern „keinen Korrekturbedarf“. Von dem angeblichen „Bürokratiemonster“ hatte die Union durch ihren Steuerstreit erst einmal selbst abgelenkt. LUKAS WALLRAFF